REPORT:
Zurück auf Los bei den ARGEn


[15.3.2010] Die Zusammenarbeit von Bund und Kommunen in ARGEn wurde durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bereits 2007 für verfassungswidrig erklärt. Daher muss bis Ende 2010 eine Neuregelung erfolgen. Software-Hersteller präferieren eine Ausweitung des Modells der Optionskommunen, damit diese vermehrt dezentrale Lösungen wählen können.

Neuorganisation SGB II: Unklarer Ausgang der Verhandlungen. Die längst überfällige Entscheidung im Hinblick auf die Neuorganisation der so genannten Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) ist gefallen. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen und die Unionsministerpräsidenten konnten sich auf eine Grundgesetzänderung einigen und haben sich damit gegen die lange favorisierte getrennte Trägerschaft entschieden. Bis Ende März 2010 soll nun eine interfraktionelle Bund-Länder-Arbeitsgruppe Formulierungen für eine Verfassungsänderung erarbeiten.
Eine Neustrukturierung wurde notwendig, nachdem die gemeinsame Arbeit der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Kommunen in den ARGEn, oder auch Jobcentern, im Dezember 2007 für verfassungswidrig erklärt worden war. Die Jobcenter wurden 2005 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder im Rahmen des Hartz-IV-Konzeptes eingeführt. Seitdem erfolgen mehrheitlich die Vermittlung und Integration aus einer Hand, wobei sich möglichst nur ein Mitarbeiter um alle Anliegen vom Arbeitslosengeld II über die Kosten der Wohnung bis hin zu persönlichen Problemen kümmern sollte. Insgesamt drei verschiedene Modelle stehen für die Aufgabenerfüllung des SGB II zur Verfügung: Neben einigen wenigen Kommunen, die an der Trennung zwischen kommunalen Aufgaben und denen der BA festgehalten haben, gibt es bundesweit 346 ARGEn. Außerdem bestehen 69 Optionskommunen, in denen die Kommune sowohl die Mietkosten und einmalige Beihilfen als auch die Vermittlung von Arbeitslosen und die Auszahlung des Arbeitslosengeldes II und somit die alleinige Trägerschaft übernommen hat.

Politischer Zick-Zack-Kurs

Dem aktuellen Stand ging ein politischer Zick-Zack-Kurs voraus. Von Zentren für Arbeit über die Optionserweiterung, eine vertragsbasierte freiwillige Zusammenarbeit zwischen Bund und Kommunen, die Diskussion über Auflösung oder Erhalt der ARGEn bis hin zur kontrovers diskutierten Grundgesetzänderung wurden verschiedenste Modelle besprochen – ohne ein wirklich zufriedenstellendes Ergebnis.
Bereits während der Großen Koalition wurde die Änderung der Verfassung diskutiert. Der damalige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz legte hierzu ein Konzept vor, welches als großer Durchbruch bezeichnet wurde. Blockiert wurde der Entwurf letztlich aber von der CDU/CSU-Fraktion. Im Oktober 2009 wurde im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP dann das Ende der ARGEn festgeschrieben. „Die Koalition will die Aufgabenwahrnehmung und Finanzierung für Langzeitarbeitslose im Sinne der Menschen neu ordnen. Wir streben eine verfassungsfeste Lösung ohne Änderung des Grundgesetzes und ohne Änderung der Finanzbeziehungen an, die dazu beiträgt, dass Langzeitarbeitslosigkeit vermieden beziehungsweise so schnell wie möglich überwunden wird.“ Noch Ende des vergangenen Jahres kursierte ein Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), das die getrennte Aufgabenwahrnehmung vorsieht. Im Folgenden präsentierte die neue Ministerin von der Leyen einen Vorschlag, der die Ablösung der Betreuung aus einer Hand durch die Betreuung unter einem Dach zum Ziel hatte. Die ARGEn sollten so zwar organisatorisch getrennt, eine freiwillige Zusammenarbeit jedoch ermöglicht werden. Die 69 Optionskommunen hätten ebenfalls bestehen bleiben können.
Die Kommunen selbst haben sich im Gegensatz dazu konsequent für eine Erweiterung der Option ausgesprochen, wie das Ergebnis einer Umfrage des Deutschen Landkreistages (DLT) zeigt. Rund 170 Städte und Landkreise fordern, die Betreuung und Vermittlung Langzeitarbeitsloser und ihrer Familienangehörigen fortan in eigene Hände zu nehmen, wie dies bereits die Optionskommunen tun. Die Rückkehr zur getrennten Trägerschaft wird abgelehnt. Dieser Meinung ist auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Stephan Articus, der dies mit einem Anstieg der Bürokratie und ihrer Kosten sowie Doppelarbeit begründet.

Nochmals von vorne

Am Ende einigte man sich doch auf die bereits zu Anfang diskutierte und von den Kommunen präferierte Lösung: Verfassungsänderung. Denn das ursprüngliche Vorhaben von Bundesministerin von der Leyen, die ARGEn wieder in zwei Behörden aufzuspalten, war am Widerstand einiger Unionsministerpräsidenten gescheitert.
Insbesondere „die Städte begrüßen die grundsätzliche politische Einigung von Bund und Ländern, die Arbeit der Jobcenter und der Optionskommunen über das Jahr 2010 hinaus abzusichern. Doch der Bund ist den zahlreichen und unüberhörbaren Rufen nach einer Verfassungsänderung erst sehr spät gefolgt. Deshalb drängt jetzt die Zeit sehr, die Einzelheiten zu klären“, so der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, zu der späten Verständigung. Auch Hans Jörg Duppré, Landrat des Kreises Südwestpfalz und DLT-Präsident, sieht in dem jetzigen Beschluss einen „Erfolg versprechenden Lösungsansatz“. Wichtig sei nun jedoch die kommunalfreundliche Ausgestaltung.
Kritisiert wird die Nicht-Beteiligung der Kommunen an der entscheidenden Bund-Länder-Arbeitsgruppe. „Bund und Länder dürfen die künftigen Regelungen nicht wie geplant im stillen Kämmerlein unter sich ausmachen, sondern müssen die kommunalen Spitzenverbände in die Arbeitsgruppe aufnehmen“, fordert Christian Ude und ergänzt: „Die Rolle der Kommunen darf nicht auf die eines Zahlmeisters beschränkt werden.“ Die Arbeitsgruppe unter Leitung von Staatssekretär Gerd Hoofe besteht bisher aus vier Bundestagsabgeordneten von CDU, CSU, FDP und SPD sowie aus fünf Länder-Arbeitsministern.
Während sich die Fraktionen von CDU/CSU und FDP deutlich mehr als die derzeit 69 Optionskommunen wünschen, ist die SPD nur zu einer moderaten Erhöhung bereit. Denn eine Freigabe der Option berge die Gefahr, dass bei der BA mehrere Tausend Arbeitsplätze verloren gehen. Die neuen Optierer würden wohl kaum die Mitarbeiter der bisherigen ARGEn übernehmen können oder wollen. Langzeitarbeitslose müssten dann mit einer schlechteren Betreuung rechnen. Dies möchte die SPD verhindern. Für die angestrebte Verfassungsänderung ist jedoch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und damit die Zustimmung der SPD notwendig.
Während bereits viele Kommunen darunter auch Städte wie Hamburg, Mannheim oder Stuttgart signalisiert haben, eine künftige Optionsmöglichkeit nutzen zu wollen, akzeptieren die kommunalen Spitzenverbände die Erweiterung nicht bedingungslos. So befürwortet der Deutsche Städtetag zwar den bisherigen Beschluss, die Arbeit der bestehenden Optionskommunen künftig unbefristet zuzulassen und gesetzlich abzusichern. Für eine Ausweitung des Modells nennt er aber konkrete Anforderungen. So müsse vor allem die Finanzierungsverantwortung für die Langzeitarbeitslosigkeit dauerhaft beim Bund bleiben. Außerdem dürfe das Modell nicht als Zwischenstufe für die alleinige kommunale Zuständigkeit bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit dienen.

IT in Planung

Der kommunale Einfluss auf die Problematik wird nicht nur durch die derzeitige Nicht-Beteiligung an den Verhandlungen eingeschränkt, sondern auch durch die Tatsache, dass Software-Lösungen nicht selbstständig gewählt werden dürfen. Bislang wurde in den ARGEn die Lösung A2LL der Bundesagentur für Arbeit eingesetzt. Dies kritisieren allerdings führende Software-Hersteller wie das Dortmunder Unternehmen Lämmerzahl und die Firma INFOsys Kommunal. Laut Lämmerzahl ist der Rückgriff auf angepasste oder neu entwickelte Zentrallösungen mit Risiken verbunden, insbesondere wenn sie auf fehleranfälliger, absturzgefährdeter und funktional eingeschränkt arbeitender Software wie A2LL basieren. Angesichts der Tatsache, dass es längst problemlos arbeitende Lösungen wie LÄMMkom gebe, seien Investitionen in die unzuverlässige Software kaum nachvollziehbar. Auch die Firma INFOsys Kommunal sieht im Einsatz der Lösung A2LL ein erhebliches Risiko. Insbesondere die sehr späte Lieferung der angepassten Software (geplant für Mitte November 2010) wird kritisiert. Denn damit wäre ein hohes Risiko verbunden, dass die Leistungsempfänger im Januar 2011 keine oder verzögerte Leistungen erhalten. Auch könnten Mischfälle in Bedarfsgemeinschaften in A2LL im Gegensatz zu dezentralen Lösungen nicht abgebildet werden. Integrierte Verfahren wie Care4 von INFOsys Kommunal hingegen würden die Abwicklung aller Leistungen der Sozialgesetzbücher ermöglichen.
Im Falle der Fortsetzung der Arbeit der ARGEn würden die Kommunen weiterhin die Software der Bundesagentur nutzen müssen. Daher empfehlen Fachverfahrenshersteller eine frühzeitige Überlegung, ob die Kommunen das Modell der Option in Erwägung ziehen. Denn bei einer Entscheidung für die Übernahme der alleinigen Trägerschaft können sich die Kommunen um eine eigene Lösung kümmern und damit den Abhängigkeitsstrukturen entgehen, die durch eine vorgegebene, nach den Bedürfnissen der BA konfigurierte Software verfestigt werden. Dazu Jürgen Lämmerzahl, Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens: „Anstatt nur zu reagieren, können optionswillige Kommunen dann die flexiblen Strukturen einer dezentralen Software wie LÄMMkom aktiv an die regionalspezifische Situation und an politische Steuerungsprozesse anpassen, ihr Know-how und das der angebundenen Partner einfließen lassen und schließlich alle Daten zur Planung sozialer Belange nutzen.“ Dazu muss die Bundesagentur für Arbeit die entsprechenden Daten, die derzeit noch in der Lösung A2LL vorliegen, den Kommunen fristgerecht bereitstellen.
Insgesamt steht für die Implementierung ein immer enger werdendes Zeitfenster zur Verfügung. Da die endgültige politische Entscheidung noch aussteht, können weder Software-Anbieter noch Kommunen alle nötigen organisatorischen Vorkehrungen treffen. „Wir appellieren aber an die Kommunen, bereits jetzt tätig zu werden, also potenziellen Bedarf anzumelden und Angebote oder Testinstallationen abzufragen, damit wir Personal- und Zeitkapazitäten systematisch einplanen und uns ordentlich vorbereiten können“, so Jürgen Lämmerzahl. Er geht davon aus, dass rund 350 Kommunen Bedarf an einer neuen IT-Lösung haben werden. Anwendungen wie LÄMMkom oder Care4 der Firma INFOsys Kommunal bieten hier eine mögliche Alternative. Sie sind bereits bei einer Vielzahl von Kommunen im Einsatz und können entsprechend angepasst werden.

Trübe Aussichten?

Noch ist ungewiss, ob die interfraktionelle Arbeitsgruppe wie geplant demnächst bereits erste Ausarbeitungen für eine Verfassungsänderung präsentieren kann. Und ob dann die Unionsfraktion definitiv mitzieht. Auch die SPD muss noch abschließend ins Boot geholt und damit Kompromisse erarbeitet werden. Es bleibt also spannend. (cs)


Stichwörter: Sozialwesen, SGB II, ARGEn, Lämmerzahl, INFOsys Kommunal, Ursula von der Leyen



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