Interview:
Erwartungen erfüllt


[23.8.2012] In Mainz ist der elektronische Einkauf seit knapp zehn, in Erfurt seit einem Jahr Realität. Über ihre Erfahrungen berichten Klaus Faßnacht, Leiter Zentrale Verdingungsstelle der Stadt Mainz, und Denise Böttcher, Leiterin der Erfurter Beschaffungsabteilung.

Klaus Faßnacht Herr Faßnacht, die Stadt Mainz hat bereits im Jahr 2003 den Einkauf auf eine elektronische Lösung umgestellt. Aus welchen Gründen hat sich die Stadt damals für die Einführung einer E-Procurement-Software entschlossen?

Zunächst einmal haben wir uns von der Einführung versprochen, Beschaffungsprozesse und -kosten reduzieren zu können. Darüber hinaus wollten wir durch die Bündelung der Gesamtnachfrage in den einzelnen Produktgruppen wirtschaftlichere Einkaufspreise erhalten. Und nicht zuletzt wollten wir die mit der elektronischen Bestellung automatisch erzeugten Daten für das Controlling und natürlich für die nächste elektronische Ausschreibung ohne Medienbruch nutzen.

Denise Böttcher
Frau Böttcher, in Erfurt ist seit dem Jahr 2011 eine E-Procurement-Lösung im Einsatz. Waren bei Ihnen ähnliche Gründe für die Einführung ausschlaggebend?

Aufgrund dezentraler Ressourcenverwaltung war bei uns die Bedarfsermittlung für die Durchführung von Ausschreibungen für gleichartige Bedarfe zeitaufwändig und intransparent. Ein Dialog mit allen Bedarfsträgern war schlicht nicht mehr möglich. Mit der Einführung einer E-Procurement-Software wollten wir daher die Prozesse der Bedarfsermittlung optimieren und eine einheitliche Abwicklung der Beschaffungsprozesse ermöglichen. Zudem soll die Lösung alle Organisationseinheiten dabei unterstützen, den Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit bei der Beschaffung einzuhalten. Ein weiteres Ziel war die Schaffung einer einheitlichen Bestelloberfläche für die Stadtverwaltung und ihre Eigenbetriebe mit einheitlichen Standards, Umwelt- und Nachhaltigkeitskriterien sowie der Trennung von strategischem und operativem Einkauf.

Welche Anforderungen stellte Ihre Stadt an die E-Procurement-Software?

Faßnacht: Wir suchten nach einer bedienbaren Software. Sie sollte insbesondere lieferantenunabhängig und möglichst ohne weitere interne Investitionen nutzbar sein. Natürlich war auch die Akzeptanz der Einkäufer ausschlaggebend.

Böttcher: Uns war die Bereitstellung einer eigenen webbasierten Bestellplattform für die Stadt Erfurt wichtig. Zu unseren Anforderungen zählten unter anderem eine benutzerfreundliche Oberfläche, das Reklamationsmanagement als Bestandteil des Bestellsystems, eine schnelle Artikelsuche, die Möglichkeit der Datenübernahme nach Ausschreibung sowie der Erstellung von Leistungsverzeichnissen nach dem Produktdatenstandard e@class 5.1. Wichtig waren uns zudem umfangreiche Auswertungsmöglichkeiten für die Planung und Steuerung des Einkaufs.

„Alle Vorteile, die wir uns erhofft haben, sind eingetreten.“

Was sprach für die Anschaffung der Lösung von Anbieter TEK-Service?

Faßnacht: Zunächst war es nicht einfach, überhaupt eine Lösung zu finden, die ohne erdrutschartige Veränderungen im Einkauf eine schrittweise Optimierung versprach. In Mainz hatten wir auch andere Möglichkeiten zur Auswahl. Diese hätten aber einen ganz erheblichen Eingriff in die Organisation und weitere Schnittstellen bedeutet. TEK-Service war dagegen in der Lage, in kleinen Schritten und unter Berücksichtigung der Lieferanten zunächst Versuchsfelder zu bearbeiten.

Böttcher: Im Falle der Stadt Erfurt konnte sich die Lösung von TEK im Rahmen eines beschränkten Ausschreibungsverfahrens mit vorangegangenem öffentlichem Teilnahmewettbewerb durchsetzen.

Welche Herausforderungen mussten in Mainz beziehungsweise Erfurt bei der Umstellung auf den elektronischen Einkauf gemeistert werden?

Faßnacht: Im Grunde war lediglich Überzeugungsarbeit bei der Verwaltungsführung und den Einkäufern zu leisten. Die Schulung der rund 500 Einkäufer gelang in zweieinhalb Tagen, da die Bedienung der E-Procurement-Lösung von den heute bekannten Onlineshops nicht abweicht.

Böttcher: Ein Bestandteil unserer Ausschreibung war die Projektion innerhalb von acht Wochen nach Übergabe der Daten an die Firma TEK. Mit den bereits vorhandenen Vertragspartnern mussten die Umstellung und Anpassung der bestehenden Leistungsverzeichnisse nach e@class 5.1 erfolgen. Diese Arbeit gestaltete sich sehr umfänglich und war für alle Beteiligten anspruchsvoll. Hinzu kamen die Einrichtung von Accounts für unsere 200 User mit Kundennummer, fest definierter Bestelladresse und oftmals mehreren Kostenträgern sowie die Schulung und Einweisung aller Nutzer in das neue System.

Von welchen Verwaltungsbereichen wird die Lösung jeweils genutzt?

Faßnacht: An den elektronischen Einkauf sind in Mainz die gesamte Verwaltung und auch einige Beteiligungsgesellschaften angeschlossen. Derzeit sind 520 Kolleginnen und Kollegen ganz oder teilweise mit Beschaffungen betraut. Die Stadt weist mittlerweile einen ordentlichen Zuwachs an Produktgruppen auf. Vom Kopierpapier bis hin zu Kinderwindeln sind derzeit 35 Einzelkataloge installiert. Der Umsatz betrug im Jahr 2011 rund eine Million Euro.

Böttcher: Alle Organisationseinheiten der Stadt Erfurt haben einen eigenen Zugang zum Einkaufssystem. Über diesen tätigen sie alle erforderlichen Bestellungen von zum Beispiel Tinte und Toner, Datenträgern, Papier für Kopierer und Drucker, diversen Reinigungsmaterialien oder für den Hygienebedarf.

Welche Vorteile ergeben sich durch die Umstellung auf den elektronischen Einkauf?

Faßnacht: Im Grunde sind alle Vorteile, die wir uns erhofft haben, eingetreten. Die Einkaufspreise über alle nun im Wettbewerb vergebenen Aufträge sind um circa 36 Prozent gesunken; die mit der Bestellung verbundenen Prozesskosten konnten in Mainz um fast die Hälfte reduziert werden. Und der Gewinn von Daten über jede einzelne Bestellung, jedes einzelne Produkt und über jede Kostenstelle bringt die perfekte Leistungsbeschreibung zur E-Vergabe. Weitere Vorteile ergeben sich aus den optimierten Liefer- und Vertragsbedingungen.

Böttcher: Das System wurde gut angenommen. Erste Auswertungen werden bereits generiert, sind jedoch noch nicht umfassend aussagefähig, weil die Anwendung in Erfurt noch keine zwölf Monate im Einsatz ist. Bereits heute kann jedoch gesagt werden, dass sich unsere Hoffnungen bezüglich der Prozessoptimierung und besseren Übersichtlichkeit – sowohl für die Anwender der Bestell-Software als auch für die Mitarbeiter des Bereichs Beschaffung – erfüllt haben.

Welche Erweiterungen sind für die Zukunft geplant?

Faßnacht: Die Erweiterung ist eine permanente Aufgabe unserer Einkaufsstelle. Der elektronische Einkauf soll zu einer Konzernaufgabe werden. Auch Einkaufsgemeinschaften mit benachbarten Kommunen sind in Vorbereitung. Daneben wollen wir eine Schnittstelle zu unserer doppischen Finanz-Software realisieren. Damit sollen weitere Prozesse reduziert oder sogar ganz abgeschafft werden können.

Böttcher: Im Herbst 2012 wird in Erfurt ein umfangreiches Sortiment für den gesamten Bürobedarf online gestellt. Außerdem wird derzeit die Übernahme von Lieferanten und Katalogen für verschiedene Bedarfe vorbereitet, etwa für den Handwerkerbedarf. Ebenso in Arbeit sind die Nutzung des Einkaufssystems für die Kostenstellenrechnung und Rechnungslegung sowie eine mögliche Einführung des Gutschriftverfahrens.

Interview: Bettina Schömig

Dieser Beitrag wird in der September-Ausgabe von Kommune21 veröffentlicht. Das Heft erscheint am 31.08.2012. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: E-Procurement, TEK-Service, Mainz, Erfurt, Klaus Faßnacht, Denise Böttcher

Bildquelle v.o.n.u.: Stadt Mainz, Stadt Erfurt

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