Interview:
E-Government im Teufelskreis


[13.1.2017] Um eine gemeinsame IT-Infrastruktur zu schaffen, setzt sich der Nationale Normenkontrollrat für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ein. Kommune21 sprach mit Johannes Ludewig, dem Vorsitzenden des Gremiums.

Dr. Johannes Ludewig: Die Chance, in den nächsten fünf Jahren zu den digitalen Spitzenreitern in Europa aufschließen zu können, ist groß. Herr Dr. Ludewig, im September hat der Nationale Normenkontrollrat (NKR) seinen Jahresbericht 2016 vorgelegt. Demnach sind die Folgekosten von Gesetzen für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung um insgesamt rund 450 Millionen Euro gestiegen. Was ist der Grund für diesen Anstieg?

Von dem diesjährigen Anstieg besonders betroffen ist, wie in den vergangenen Jahren, die Wirtschaft: Hier erhöhten sich die Folgekosten im Vergleich zur Vorperiode um fast 300 Millionen Euro, vor allem durch die Umsetzung von EU-Recht. Der hohe Anstieg im aktuellen Berichtszeitraum ist insbesondere auf ein Regelungsvorhaben zurückzuführen: Allein das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende verursacht rund 140 Millionen Euro Folgekosten jährlich. Festgehalten werden muss aber auch: Bei den Folgekosten der Wirtschaft ist im Gefolge der neuen One-in-one-out-Regel eine positive Entwicklung festzustellen. In den anderthalb Jahren seit Einführung der Regel zum 1. Januar 2015 ist das Out, die Entlastung der Wirtschaft, um knapp eine Milliarde Euro höher ausgefallen als das In, also die Belastung der Wirtschaft. Der NKR-Jahresbericht 2016 zeigt also auch: Mit der One-in-one-out-Regel kann der Trend der ansteigenden laufenden Kosten der Wirtschaft wirksam gebremst werden.

Der Jahresbericht 2016 ist der vierte in Folge, in dem der Nationale Normenkontrollrat die Bundesregierung auffordert, die Digitalisierung der Verwaltung konsequenter in Angriff zu nehmen. Woran ist die Digitalisierung der Verwaltung bislang gescheitert?

Der Normenkontrollrat sieht bereits seit Jahren mit wachsender Sorge, dass E-Government in Deutschland trotz mancher Einzelerfolge insgesamt viel zu langsam vorankommt. In den einschlägigen internationalen E-Government-Rankings verharrt Deutschland im hinteren Mittelfeld. Wirksames E-Government zu entwickeln und zu betreiben stellt jede einzelne Verwaltung vor enorme Herausforderungen. Allzu oft dreht sich E-Government im Teufelskreis: Wenig Nachfrage bei gleichzeitig hohen Kosten demotiviert die Verwaltung, weitere Angebote zu entwickeln und noch mehr Geld in Design und Nutzerfreundlichkeit zu investieren. Was fehlt, sind wirksame Entscheidungsstrukturen, damit gemeinsame digitale Lösungen über die Verwaltungsebenen hinweg entwickelt werden können. Dieses strukturelle Defizit war bei der Bewältigung der großen Zahl in Deutschland ankommender Flüchtlinge sehr deutlich zu spüren.

Welche Schritte müssten für eine konsequente Digitalisierung unternommen werden?

Wir brauchen eine neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, um eine gemeinsame IT-Infrastruktur zu schaffen. Dafür bedarf es einer Vereinbarung auf höchster politischer Ebene, eines E-Government-Pakts für Deutschland. Entscheidend ist, dass es nicht um eine pauschale Zentralisierung geht und der Bund in Zukunft alles allein machen sollte. Auch hat eine stärkere Kooperation nichts mit der Aufgabe von Eigenständigkeit oder der Beschneidung von fachlichen Zuständigkeiten zu tun, sondern mit der schlichten Erkenntnis, dass Zusammenarbeit Kosten spart und das Angebot verbessert.

Ist diese Erkenntnis schon durchgedrungen?

Ein Durchbruch für die digitale Verwaltung scheint seit dem 14. Dezember endlich in Sicht: Die an diesem Tag im Bundeskabinett verabschiedete Änderung des Grundgesetzes zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen sieht eine engere Zusammenarbeit bei den Online-Angeboten der Verwaltungen vor. Ein Digitalisierungsbudget und die Einrichtung eines Portalverbunds, in dem die Verwaltungsportale von Bund, Ländern und Kommunen verknüpft werden, sind geplant. Damit werden zwei der zentralen Forderungen umgesetzt, die der Normenkontrollrat mit seinem Gutachten ,E-Government in Deutschland: Wie der Aufstieg gelingen kann‘ gestellt hatte. Nun wird es darauf ankommen, dass die Umsetzung in der Praxis tatsächlich gelingt. Mit dem Recht, Vorgaben zu machen, ist der Bund nun zugleich in der Pflicht, praktikable Lösungen vorzulegen. Das wird nur in Kooperation mit den Praktikern in Ländern und Kommunen gehen. Außerdem muss das nun geplante Digitalisierungsbudget so ausgestattet sein, dass die notwendigen Investitionen getätigt werden können. Die Chance, in den nächsten fünf Jahren zu den digitalen Spitzenreitern in Europa aufschließen zu können, ist groß.

„Wir werden beim Thema E-Government den Druck im System aufrechterhalten.“

Mit Vorlage des Jahresberichts 2016 endete auch die zweite Mandatszeit des Nationalen Normenkontrollrats. Wie fällt die Bilanz der Arbeit nach diesen zehn Jahren aus?

Mit Blick auf die vergangenen zehn Jahre kann man klar festhalten: Heute wissen diejenigen, die über Gesetze entscheiden, welche Kosten für Bürger, Unternehmen und Verwaltungen mit ihren Entscheidungen ausgelöst werden. Gesetze haben gewissermaßen ein Preisschild erhalten. Die Ex-ante-Schätzung der Folgekosten neuer gesetzlicher Regelungen gehört inzwischen zur fest etablierten Praxis der Arbeit der Bundesregierung. Insofern können wir heute von einer anderen Gesetzgebungskultur sprechen als zu Beginn unserer Tätigkeit. Aus der Arbeit des Normenkontrollrats hat sich da­rüber hinaus ein dynamischer Prozess entwickelt, diese neue Gesetzgebungskultur weiter zu vertiefen. Entstanden sind daraus weitere Innovationen und Premieren der deutschen Rechtsetzung, so beispielsweise die Realisierung des 25-Prozent-Einsparziels bei den Bürokratiekosten, die Einführung einer systematischen Ex-post-Evaluierung aller neu verabschiedeten, kostenintensiven Gesetze nach drei bis fünf Jahren; oder die Einführung der bereits erwähnten One-in-one-out-Regelung, also die faktische Deckelung gesetzlicher Folgekosten für die Wirtschaft. Hinzu kommt die Verabredung einer engeren Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen, damit auch diejenigen, die EU- und Bundesgesetze ausführen müssen, mit ihren Erfahrungen bei der Ermittlung der zu erwartenden Folgekosten besser zu Wort kommen. Ein entsprechender Testlauf beginnt noch im Dezember 2016.

Was wird den Nationalen Normenkontrollrat in der dritten Mandatszeit besonders beschäftigen?

Der Normenkontrollrat wird sich weiterhin mit Beharrlichkeit, Augenmaß und Mut dafür einsetzen, dass die Transparenz gesetzlicher Regelungen im Blick auf das, was sie in ihrer Umsetzung für Bürger, Unternehmen und Verwaltungen tatsächlich bedeuten, verbessert wird. Neue, anspruchsvolle Herausforderungen sehen wir beispielsweise in der Frage, ob neben den Kosten nicht auch der Nutzen neuer gesetzlicher Regelungen besser durchleuchtet und – wo immer möglich – auch quantifiziert werden sollte. Wir wissen, dass hier noch eine ganze Reihe ungelöster Probleme auf uns warten, weil die Erfahrung eben zeigt, dass Kostenfolgen sich leichter in Zahlen fassen lassen als der ihnen gegenüberstehende Nutzen. Gleichwohl, wir wollen hier weiter vorankommen. Ebenso wie darin, die Kostenfolgen und Nutzenerwartungen auch im Bundestag und Bundesrat noch bewusster werden zu lassen. Ihre Erörterung sollte künftig – neben den Gesetzesinhalten – in den Ausschussberatungen mehr als bisher einen angemessenen Platz erhalten. Und natürlich werden wir auch weiterhin beim Thema E-Government den Druck im System aufrechterhalten.

Interview: Verena Barth

http://www.normenkontrollrat.bund.de
Dieser Beitrag ist in der Januar-Ausgabe von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Politik, IT-Infrastruktur, Nationaler Normenkontrollrat, Johannes Ludewig

Bildquelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

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