REPORT:
Politik der freien Daten


[17.1.2011] Der Ruf nach Open Data wird lauter. Wissenschaftliche Studien plädieren dafür, die Datenbestände von Ämtern und Behörden frei zugänglich zu machen. Der Nutzen für Staat, Bürger und die Wirtschaft sei enorm. Die Stadt München hat den Ruf schon gehört.

Münchner Projekt MOGDy: App-Entwicklung mit freien Daten der Stadt. (Grafik: Stadt München) Sicherheitsbehörden verwenden gerne dieses Argument: Wer nichts Unrechtes tut, muss auch nichts verbergen. Der Bürger mit gutem Gewissen soll sich also vom Staat in die Karten schauen lassen. Doch gilt dies auch umgekehrt?
Die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente durch die Plattform Wikileaks zeigt eines: Sobald Daten digital vorliegen, lassen sie sich nicht mehr geheim halten. Was dies bedeutet, schrieb Julian Assange, der Gründer von Wikileaks, schon im Jahr 2006: „In einer Welt, in der das Leaken von Informationen einfach ist, werden geheimniskrämerische, ungerechte Systeme ungleich härter getroffen, als offene, gerechte Systeme.“

Kein Recht auf Heimlichkeit

Ist es also sinnvoll, wenn Regierungen, Behörden und Kommunen wenigstens all die Informationen und Daten veröffentlichen, die nicht aus Gründen des Datenschutzes oder aufgrund von Sicherheitsaspekten der Geheimhaltung unterliegen? Ja, sagen die Befürworter von Open Government, bei deren Überlegungen frei verfügbare Daten der öffentlichen Hand (Open Data) eine zentrale Rolle spielen. Der Autor Marius Sixtus argumentierte im ZDF-Blog Kennzeichen Digital kürzlich so: „Ein Staat besitzt keine Privatsphäre, er hat kein Recht auf Heimlichkeit. Er ist allein seinen Bürgern verpflichtet und der Default-Status für Regierungsinformationen sollte ,frei‘ lauten.“ Sixtus sieht darin eine enorme Chance für die Demokratie. Im besten Fall könnte eine Politik der freien Daten zu einem gesellschaftlichen Evolutionsschub und einer erzwungenen Annäherung zwischen Regierung und Regierten führen.

Lizenz für freie Daten

Eine explizite Open-Data-Politik verfolgen insbesondere angelsächsische Länder. Nach Kriterien von Julian Assange wäre ausgerechnet das Land als gerecht einzustufen, dessen Polizei ihn verhaftet hat und in dem ihm derzeit der Prozess gemacht wird. Denn: Großbritannien soll nach dem Willen von Premierminister David Cameron die transparenteste öffentliche Verwaltung der Welt erhalten (wir berichteten). Als ein Schritt dahin wurde im September 2010 eine Open Government Licence verabschiedet. Diese Lizenz regelt die Nutzung von Informationen der öffentlichen Hand in Großbritannien. Anwendungsentwickler oder Unternehmen dürfen frei zugängliche Behördendaten ohne Urheberrechtsbeschränkung verwenden, etwa um Programme zu schreiben oder Websites aufzubauen. Erst vergangene Woche startete die britische Regierung eine weitere Open-Data-Initiative. Francis Maude, Minister im Cabinet Office, und Wirtschaftsminister Edward Davey kündigten die Gründung einer Gesellschaft für öffentliche Daten (Public Data Corporation) an. In der Organisation sollen Behördendaten gebündelt und somit der Zugriff darauf weiter vereinfacht werden.

Geplant: Deutsche Open-Data-Plattform

Ähnliches ist auch in Deutschland geplant. Allerdings ist das Vorhaben erst in der Ankündigungsphase. Auf dem 5. Nationalen IT-Gipfel wurde im Dezember 2010 die Dresdner Vereinbarung verabschiedet. Darin steht, dass in Deutschland eine zentrale Open-Data-Plattform aufgebaut werden soll. Nähere Angaben dazu sucht man in dem Papier jedoch vergebens. Auch Wissenschaftler plädieren dafür, die Datenbestände von Ämtern und Behörden zugänglich zu machen. Auf dem Nationalen IT-Gipfel legte der Forschungsverbund ISPRAT ein Whitepaper vor (Vom Open Government zur Digitalen Agora). In dem Papier wird unter anderem gefordert, die Zugangsschwellen zu Behördendaten zu senken. Politik, Verwaltung, Bürger und Wirtschaft würden davon enorm profitieren.
Der Staat, heißt es in dem Whitepaper, ziehe einen Vorteil aus der größeren Transparenz der Hintergründe politischer Entscheidungen, weil mit der Transparenz die Akzeptanz dieser Entscheidungen wachse. Außerdem erhielten Politik und Verwaltung Denkanstöße von Bürgern oder der Wirtschaft, die das Interesse auf neue Themenfelder lenken würden. Nicht zuletzt profitierten der Staat und seine Organe von der einfacheren und insbesondere ebenenübergreifenden Verfügbarkeit von Daten, weil die Prozesse effizienter werden.
Auch die Bürger hätten einen Nutzen von den öffentlichen Daten. Sie erhielten einen detaillierten Einblick in die Budgetierung von Haushaltsmitteln oder könnten Daten, die sonst umständlich beschafft werden müssten, ganz praktisch nutzen, etwa Informationen zur Luftqualität für die Entscheidung über den künftigen Wohnort. Das Handeln von Politik und Verwaltung werde transparenter.
Schließlich könne auch die Wirtschaft die Daten nutzen, um beispielsweise neue Kundensegmente zu erschließen. Zudem könnten Unternehmen die Daten transformieren und in angereicherter Form weiterverkaufen oder Geschäftsmodelle entwickeln, die auf der Bereitstellung von Anwendungen (Apps) beruhen. Dieses ökonomische Potenzial von Open Data dürfe nicht unterschätzt werden, schreiben die ISPRAT-Forscher.

Gutachten Open Data

In ähnliche Richtung argumentiert ein Gutachten der Zeppelin University Friedrichshafen, das Ende vergangenen Jahres publiziert wurde. Der Autor, Professor Jörn von Lucke, Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin University, stellt fest: „Der Staat kann den Bürgern wesentlich mehr vorhandene Daten als bisher zur Verfügung stellen und sollte dies – unter bestimmten Voraussetzungen – auch tun.“ Das Gutachten entstand im Auftrag der Deutschen Telekom im Zusammenhang mit deren Projekt T-City Friedrichshafen. Geklärt werden sollte die Frage, wie Datenbestände von Staat und Verwaltung, die weder Datenschutz noch Amtsgeheimnissen unterliegen, im Internet frei zugänglich gemacht werden können. Ansätze dazu werden beispielhaft anhand der T-City Friedrichshafen und des Bodenseekreises diskutiert.
Das Gutachten kommt zu folgendem Ergebnis: Eine Aufbereitung und die frei zugängliche Bereitstellung bestehender Daten eröffnen vielfältige Ansätze zu deren Weiterverwertung. Zusätzlich können Impulse für die Öffnung von Staat und Verwaltung, für mehr Transparenz, Teilhabe und Zusammenarbeit sowie für Innovation und Wirtschaftsförderung gegeben werden. Bund, Länder und Kommunen können ihre Haushaltspläne visualisieren und tagesaktuell frei zugänglich machen, um Bürger zu informieren, was mit Steuergeldern passiert. Lokalpolitische Impulse ergeben sich aus einem freien und offenen Zugang zu Fahrplandaten, Zug- und Flugbewegungen, Straßenverkehrsdaten, Polizeiberichten, Umweltdaten, Geodaten, Prüfberichten, Wahlergebnissen, Ratsinformationen und Bebauungsdaten. Professor Jörn von Luckes Fazit lautet: „Die Gesellschaft profitiert von der Offenheit und Transparenz durch frei zugängliche Daten, denn diese stärken das Vertrauen der Bevölkerung und der Wirtschaft in Staat und Verwaltung.“

Berliner Fragen

Die Öffentlichkeit scheint das ähnlich zu sehen. Dies legt eine Umfrage unter Berliner Bürgern über ihr Interesse an Daten der Verwaltung nahe. Mehr als 1.300 Berliner beteiligten sich und füllten im September und Oktober 2010 einen entsprechenden Online-Fragebogen aus. Ergebnis: 92 Prozent der Befragten gaben an, die bereitgestellten Daten regelmäßig lesen zu wollen, 54 Prozent sagten, sie würden damit arbeiten, sie für andere aufbereiten und online verfügbar machen. Das Thema Stadtplanung hat es im Ranking ganz nach oben geschafft. Es folgen Verwaltung, Umwelt, Kontrollen und Infrastruktur. Nach Angaben der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen sind die Informationen der Verwaltung bereits gut aufbereitet unter berlin.de/verwaltungsführer zu finden. Die Umfrageergebnisse sind laut der Senatsverwaltung zwar nicht repräsentativ, die Themenauswahl sei dennoch interessant. Hier werde die Verwaltung ansetzen, um den Einstieg in Open Data zu finden.

Münchner Freiheit

Diesen Einstieg macht die bayerische Landeshauptstadt mit dem Munich Open Government Day (MOGDy). Ziel des Projektes ist es, herauszufinden, welche E-Government-Dienste die Bürger wünschen, welche Formen der digitalen Bürgerbeteiligung die Stadt München anbieten sollte und welche Programme aus dem öffentlich zugänglichen Datenfundus erstellt werden könnten. Im Rahmen eines Ideenwettbewerbs können die Münchner Bürger Vorschläge dazu machen. Die Stadt schaltete Anfang Dezember eine Website frei, über die bis Januar entsprechende Vorschläge gesammelt werden.
Erste maschinenlesbare Daten, die für die Entwicklung von Anwendungen verwendet werden können, hat das Statistische Amt der bayerischen Landeshauptstadt bereits freigegeben. Als ASCII-Code im Dateiformat CSV (Comma-Separated Values) können Datensätze wie „Einwohner nach Altersgruppe und Bezirk“ oder „Kraftfahrzeuge nach Typ, Hubraum und Bezirk“ heruntergeladen werden. Die Stadt hat zudem einen Programmierwettbewerb ausgelobt. Prämiert werden sollen Applikationen, die mit den Datensätzen erstellt werden. Der Startschuss für den Wettbewerb fällt auf der Veranstaltung MOGDy Camp (21. und 22. Januar 2011). Dort sollen auch die Ergebnisse des Ideenwettbewerbs zusammengetragen, diskutiert und als Vorschlagsliste der Stadt übergeben werden. Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude sagte: „Der MOGDy ist digitale Bürgerbeteiligung auf einer neuen Stufe.“ Die Stadt leiste damit deutschlandweit Pionierarbeit auf dem Gebiet Open Government.

Paradigmenwechsel zur Offenheit

Allerdings ist es noch ein weiter Weg bis alle Behörden sich öffnen und ihre Daten in maschinenlesbarer Form veröffentlichen. Professor Jörn von Lucke von der Zeppelin University beschreibt es so: „Es müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst, Maßnahmen zur Sicherstellung des Datenschutzes eingeleitet, Informationsbestände aufbereitet, Vorsorge gegen Missdeutungen und Fehlinterpretationen getroffen, ein Veränderungsmanagement sichergestellt, auf Struktur und Kultur der Verwaltung Rücksicht genommen und etwaige Strategiedefizite behoben werden.“ Kurz: Wenn es mit der Offenheit ernst gemeint ist, steht die öffentliche Verwaltung vor einem Paradigmenwechsel. (al)

Wikileaks und Open Government, Beitrag von Marius Sixtus im ZDF-Blog Kennzeichen Digital (Deep Link)
Die britische Open Government Licence (Deep Link)
ISPRAT-Whitepaper „Vom Open Government zur Digitalen Agora“ (PDF; 1,3 MB) (Deep Link)
Das Gutachten „Open Government Data“ der Zeppelin University (PDF, 516 KB) (Deep Link)
Zur Auswertung der Berliner Online-Umfrage über Open Data (Deep Link)
http://www.muenchen.de/mogdy
Offene Datensätze der Stadt München (Deep Link)

Stichwörter: Open Data, Open Government, Open Government Licence, ISPRAT, Zeppelin Universität, München, Berlin



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