Interview:
Mehr grün-blaue Infrastruktur


[4.5.2020] Professorin Elke Pahl-Weber ist Stadtplanerin, forscht und berät Kommunen zum Thema Smart City. Im Interview mit Kommune21 erklärt sie, warum Städte und Gemeinden sich jetzt um künftige Lebensräume kümmern müssen und wie diese aussehen könnten.

Prof. Elke Pahl-Weber Frau Professorin Pahl-Weber, wie sind Sie dazu gekommen sich mit dem Thema Smart Cities zu beschäftigen?

Als Stadtplanerin beschäftige ich mich seit Jahren mit dem Thema der integrierten und nachhaltigen Stadtentwicklung, egal ob als Unternehmerin oder Forscherin. Smart City ist letztendlich ein Modebegriff für das, was ich für die Anforderungen an eine integrierte Stadtentwicklung halte, die sich an verschiedene räumliche Ebenen vom Bund in die Region in die Stadt und an die Quartiere richtet. Dabei geht es natürlich auch um technische Infrastrukturen. Die digitalen Möglichkeiten, die im Rahmen der Smart City angeboten werden, sind eigentlich Hilfsmittel, um eine nachhaltige Stadtentwicklung zu betreiben.

Der vielgenannte Begriff der Smart City klingt beinahe nach Science Fiction. Wie wird die Smart City der Gegenwart im Stadtbild spürbar und erlebbar?

Derzeit ist es noch schwer, sich konkrete Bilder davon zu machen. Wir werden sicher langsam immer treffendere Vorstellungen dafür entwickeln, wo wir eigentlich hinwollen. Und dieses Wir meint nicht nur Fachleute, sondern auch Bürger, Investoren, Verwaltung, Politik und Wissenschaft. Dann kann ich mir schon vorstellen, dass wir sehen werden, wie sich die Städte ändern. Wenn wir beispielsweise im Bereich autonomes Fahren und E-Mobilität zulegen, auch was den öffentlichen Verkehr anbelangt, könnte es gut sein, dass unsere Straßenräume leiser werden, sodass man plötzlich wieder an großen Straßen wohnen möchte und das vielleicht auch attraktiv ist, weil man von da aus ganz schnell mobil ist. Das könnte urbane Räume wirklich verändern. Ich bin außerdem überzeugt, dass wir mehr Grün in der Stadt als Maßnahme zur Anpassung an den Klimawandel brauchen, um beispielsweise Hitzeinseln zu vermeiden, Wasser zu binden und Starkregen versickern zu lassen. Eine Verdichtung muss also auf allen Ebenen stattfinden, auch in der so genannten grün-blauen Infrastruktur. Und das sind zugleich auch Aufenthaltsräume für Menschen. Dadurch wird die Smart City ein etwas anderes Gesicht bekommen. Aber es handelt sich hierzulande immer noch um die europäische Stadt aus dem vergangenen Jahrhundert, und das wird insgesamt auch so bleiben.

Warum müssen wir uns jetzt diesem Thema widmen?

Ein Aspekt ist sicher der Umbruch, den wir derzeit in der technischen Infrastruktur erleben. Die muss jetzt größtenteils erneuert werden. Wenn die Straßen aufgegraben werden und wir wieder das reinlegen, was wir vorher hatten, bekommen wir mindestens 30 Jahre lang keine Möglichkeit zur Erneuerung. Egal ob es um Wasser, Abwasser, Gas oder Strom geht, da gibt es eine Menge, was wir jetzt neu machen können. Zudem zeigt sich immer deutlicher, dass wir angesichts der Klimakrise unsere Verhaltensweisen und Technologien verändern müssen. Und die Möglichkeiten, die es da gibt, beispielsweise im Zusammenhang mit der Infrastruktur, behandeln wir häufig unter dem Begriff Smart City. Deswegen finde ich es wichtig, sich um dieses Feld zu kümmern. Wind, Wasserkraft und Solarenergie - wir wissen ja, dass mittlerweile schon eine ganze Menge regenerative Energie produziert wird, aber nicht ins Netz kommt, weil es dafür nicht ausgelegt ist. Das Gebot der Stunde ist es, zu überlegen, wie in Zukunft tatsächlich weniger Schadstoffe emittiert werden können.

„Ich glaube, dass der Modebegriff Smart City sich nicht halten wird. Stattdessen wird sich das Verhalten der Menschen verändern und damit auch die Erscheinungsweise des öffentlichen Raums.“

Welche Rolle werden Smart Cities in Deutschland für die 2020er-Jahre spielen?

Ich glaube, dass der Modebegriff Smart City sich nicht halten wird. Stattdessen wird sich das Verhalten der Menschen verändern und damit auch die Erscheinungsweise des öffentlichen Raums. Wenn wir beispielsweise mehr Rad fahren, weil wir nicht so viel CO2 produzieren wollen, dann brauchen wir auch weniger Autos und weniger Stellplätze. Und ich glaube, dass das in den 2020er-Jahren kommen wird. Auch die Bereitstellung regenerativer Energien wird kommen. Wir werden uns zudem viel mehr um Wasser und das Thema Kreislaufwirtschaft kümmern.

Wie lange wird es dauern, bis die Smart City wirklich sichtbar wird?

Stadtplanung geht natürlich sehr langsam vonstatten, 30 Jahre sind da nichts. Ich glaube aber, dass wir sicherlich Ende der 2020er-Jahre schon mehr sehen, aber fertig ist der Prozess dann noch nicht. Das ist er aber ohnehin nie. Entwicklung ist ja immer dynamisch. Bis dahin wird sich auch die Technik weiterentwickeln. Und dann gibt es wieder neue Anforderungen. Aber das sukzessive Verändern wird sicher länger als zehn Jahre dauern.

Wie sehen Sie Deutschland im internationalen Vergleich in Bezug auf nachhaltige Stadtplanung?

Zurzeit habe ich ein großes Projekt in Indien, dort hat die Regierung beschlossen, dass im Land 100 Smart Cities entwickelt werden sollen. Premierminister Narendra Modi wollte diese neu bauen, ist dann beraten worden, und jetzt geht es um bestehende Städte, die umgebaut und weiterentwickelt werden. Drei Städte begleiten wir gerade im Auftrag der deutschen Regierung. Und ich muss sagen, in Indien sehe ich den Erfolg solcher Maßnahmen natürlich schneller. Das liegt aber an strukturellen Unterschieden. Müllentsorgung und Recyclingprojekte beispielsweie haben wir in Deutschland ja schon vor vielen Jahren entwickelt. Das gab es in Indien noch nicht. Wenn das im Zuge solcher Projekte aufgebaut wird, dann sieht man sehr schnell Erfolge.

Auf dem Konzept Smart City ruhen angesichts drohender Klimaveränderungen und schwindender Ressourcen viele Hoffnungen. Glauben Sie, dass die neuen Stadtkonzepte einen spürbaren und ausschlaggebenden Effekt auf ein Umdenken in der Gesellschaft und Wirtschaft haben können?

Das ist ganz schwer zu sagen und hätte zur Voraussetzung, dass man die Effekte quantifizieren könnte. Die Ziele dazu sind ja bundesweit und seitens der Kommunen gesetzt worden, um CO2 einzusparen und den Anteil regenerativer Energien zu erhöhen. Nach meiner Erfahrung sind Pilotprojekte, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, immer eine gute Gelegenheit sichtbar zu machen, wie Erfolg in dieser Hinsicht aussehen könnte. Und daher erwarte ich, dass es Effekte geben wird, aber ich könnte sie jetzt nicht beziffern. Ich bin allerdings optimistisch. Natürlich muss man sich als Kommune auch gut aufstellen, was Smart City-Lösungen angeht. Es gibt ja IT-Unternehmen, die insbesondere den kleinen Kommunen suggerieren: Ihr habt niemanden, der das machen kann, wir machen das für euch, und dann ist man so einem Unternehmen ausgeliefert. Das ist, glaube ich, keine gute Strategie. Wichtig ist, dass Städte und Gemeinden zusammenarbeiten und Hilfestellung erhalten, etwa von den kommunalen Spitzenverbänden. Mit Fördermitteln von Bund und Ländern können sich Smart Cities dann auch ohne zu große Abhängigkeit von einzelnen IT-Anbietern entwickeln.

Interview: Corinna Heinicke

Dieser Beitrag ist in gekürzter Fassung in der Ausgabe April 2020 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Smart City

Bildquelle: Prof. Elke Pahl-Weber

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