[3.6.2020] Im Bildungssektor stoßen digitale Technologien und Didaktik schnell an ihre Grenzen, was gerade in Zeiten der Corona-Krise ein Problem darstellt. Der Digitalverband Bitkom hat in einer Umfrage zum Thema die Stimmung unter Schülern festgehalten.
Die Corona-Krise wäre ohne digitale Hilfsmittel schwer zu bewältigen. Breitband-Anschlüsse zu Hause, VPN-Zugriffe auf das Behörden- oder Firmennetzwerk, Videokonferenzen und Collaboration Tools erweisen sich als äußerst nützlich, um unter den Bedingungen der sozialen Distanz weiterarbeiten zu können. Das würden sich auch viele Schüler wünschen. Doch im Bildungssektor stoßen digitale Technologien und Didaktik schnell an Grenzen. Trotz des DigitalPakts Schule und mehr als fünf Milliarden Euro, die seit März 2019 per Bundesratsbeschluss zur Verfügung stehen (
wir berichteten), kommt der Schulbereich nicht recht voran. Das rächt sich in der aktuellen Situation.
Der Digitalverband Bitkom hat sich an den Schulen umgehört und in einem „Research Spotlight 2020-02: Digitale Schule“ die Stimmung unter Schülerinnen und Schülern festgehalten. Für 50 Prozent von ihnen ist demnach der der fehlende Einsatz digitaler Medien das dringlichste Problem an den Schulen. 56 Prozent beklagen die schlechte technische Ausstattung. Veraltete Lehrinhalte und – aus Sicht der Schüler inkompetente Lehrer – werden zu 29 Prozent beziehungsweise 22 Prozent moniert. Interessanterweise wird dem Lehrpersonal mit 58 Prozent grundsätzlich ein überwiegend positives Digitalzeugnis ausgestellt. Dazu reicht allerdings schon die Feststellung, dass Lehrer „digitalen Medien gegenüber positiv eingestellt“ sind. Ob die dann im Unterricht zum Einsatz kommen, wenn sie denn verfügbar wären, steht auf einem anderen Blatt.
Geringe Auswahl
Laut Bitkom-Umfrage halten 77 Prozent der Schüler die Auswahl an digitalen Lernangeboten für zu gering und etwa genauso viele halten die technischen Voraussetzungen für die Verwendung digitaler Angebote für verbesserungswürdig. 85 Prozent der Schüler wünschen sich eigene mobile Endgeräte – seien es Laptops oder Tablets. Und eine knappe Mehrheit von 54 Prozent kann sich sogar den Ersatz von Schulbüchern durch digitale Angebote vorstellen, zumal das Internet im Schulalltag längst fest etabliert ist. Fast alle Schüler recherchieren im Netz für Hausaufgaben und Referate, und sie legen dabei große Medienkompetenz an den Tag. So wird die Qualität der Informationsquelle überprüft und der Wahrheitsgehalt von Informationen gegengecheckt. Hier gelten die Online-Enzyklopädie Wikipedia, Suchmaschinenergebnisse, aber auch journalistische Quellen auf Nachrichten-Web-Seiten als besonders vertrauenswürdig.
Fasst man die Ergebnisse der repräsentativen Bitkom-Umfrage zusammen, lässt sich feststellen, dass zumindest die älteren Schüler zwischen 14 und 19 Jahren ziemlich klare Vorstellungen von digitalem Unterricht haben und ihm auch gewachsen sind. Doch unter Beweis stellen können sie dies nicht, denn die Realität an deutschen Schulen sieht anders aus. Schon ohne Pandemie ist nicht allein die technische Schulinfrastruktur blamabel. Der jetzige flächendeckende Unterrichtsausfall quer durch alle Jahrgänge grenzt an eine Katastrophe. Schon am 18. März 2020 beklagten die beiden Bildungsexperten Dieter Dohmen und Klaus Hurrelmann die Folgen von dauerhaften Schulschließungen für die Bildungsprozesse von elf Millionen Schülerinnen und Schülern. Sie fragten im Berliner Tagesspiegel: „Wo steht geschrieben, dass Schulschließungen automatisch auch einen Unterrichtsausfall bedeuten müssen?“
Gescheiterte Versuche
Die beiden Wissenschaftler selbst schätzen den Anteil der Schulen, die technisch in der Lage wären, digitalen Unterricht anzubieten, auf lediglich 15 Prozent: „Die riesige Mehrzahl der Schulen ist weit davon entfernt, den Anforderungen eines Tele-Unterrichts zu genügen – schon gar nicht im Hochlastbetrieb und zu Prüfungszeiten, wie sie gerade anstehen.“ Es hapert an allem: vorhandene Lernplattformen in den Ländern sind unterschiedlich funktions- und leistungsfähig, und längst nicht alle Schulen sind daran angeschlossen. Versuche mit Schul-Clouds sind krachend gescheitert – es darf ja im föderalen Deutschland auf keinen Fall vom benachbarten Bundesland gelernt werden.
Eigentlich sollte der DigitalPakt Schule Chancengleichheit herstellen und allen Schülern die digitale Teilhabe ermöglichen. Doch anstatt dass die Schulen auf ein gemeinsames technisches Grundniveau gebracht werden, müssen alle Schulträger ein didaktisches Medienkonzept ersinnen, bevor sie WLAN, PCs oder Laptops beantragen können. „Das müssen die Schülerinnen und Schüler in Deutschland nun in der Krise ausbaden“, stellen die beiden Experten fest. Die drei Sofortmaßnahmen, die sie Mitte März vorschlugen, sind freilich längst verhallt. Mitten in der Krise fährt man auf Sicht und schafft nicht schnell noch Rahmenbedingungen für erfolgreiche Lehrer-Eltern-Kooperationen oder ein vereinfachtes Förderantragsverfahren. Nach der Krise gibt es allerdings keine Entschuldigung mehr.
Helmut Merschmann
Zur Bitkom-Umfrage (Deep Link)
Bericht im Tagesspiegel (Deep Link)
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