Dortmund:
Software entschärft


[18.11.2020] Eine neue 3D-Simulationssoftware sorgt für mehr Sicherheit bei der Entschärfung von Fliegerbomben in städtischen Gebieten. Sie liefert standortspezifische Gefährdungsanalysen, sodass Sicherheitskräfte Risiken detailliert und schnell abschätzen können.

Software unterstützt bei der kontrollierten Bombensprengung. Zwischen 5 und 15 Prozent der Fliegerbomben, die im zweiten Weltkrieg auf Deutschland abgeworfen wurden, sind beim Aufprall nicht detoniert. Viele davon liegen noch unentdeckt unter der Erdoberfläche. Wird eine Fliegerbombe gefunden, wird sie im Idealfall von den Profis der Kampfmittelräumung entschärft, geborgen und entsorgt. Ist eine Entschärfung oder Bergung nicht möglich, muss die Bombe kontrolliert gesprengt werden. Das bedeutet eine erhebliche Gefahr für Mensch und Infrastruktur in der Umgebung. Kampfmittelräumung und Krisenstab veranlassen deshalb die Evakuierung der betroffenen Bevölkerung. Bislang musste mangels genauerer Methoden stets von einer kreisförmigen Ausbreitung der Explosionswirkung ausgegangen werden. Ortsspezifische Einflüsse aus der Auffindesituation, der Abschattung durch Gebäude oder aus temporären Abschirmmaßnahmen konnten nicht quantifiziert werden.

Software simuliert Gefahr

Großräumige Evakuierungsmaßnahmen sind mit einem enormen organisatorischen und finanziellen Aufwand verbunden. Besonders brenzlig wird es, wenn sich im Evakuierungsgebiet Krankenhäuser, Altenpflegeheime oder ähnliche Einrichtungen befinden. Sehr häufig mit diesen Herausforderungen konfrontiert ist Nordrhein-Westfalen. Allein im Jahr 2015 wurden dort mehr als 300 Fliegerbomben geborgen, die jährlichen Bergungskosten beziffern sich auf mehrere Millionen Euro. Entsprechend groß war das Interesse des nordrhein-westfälischen Kampfmittelräumdienstes an neuen Technologien, mit denen sich die Risiken einer Bombenexplosion besser einschätzen lassen. Aus dieser Motivation heraus entstand das Forschungsprojekt SIRiUS, das der Kampfmittelräumdienst in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Virtual City Systems und dem Fraunhofer Ernst-Mach-Institut (EMI) durchführte. Es wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Bereich „Forschung für die zivile Sicherheit – Anwender innovativ“ gefördert und 2019 erfolgreich abgeschlossen.
In dem Projekt wurde der Apollo Blast Simulator von den Experten für Hochgeschwindigkeitsdynamik am Fraunhofer EMI erweitert, angepasst und in die 3D-Stadtmodellanwendung von Virtual City Systems integriert. So entstand die Anwendung VC Blastprotect – die erste Software, welche die Druckwellenausbreitung und den Splitterflug einer Detonation, basierend auf physikalischen Methoden, im realen Stadtkontext simuliert und Gefährdungen auswertet.

In Dortmund erprobt

Mit VC Blastprotect kann zunächst die genaue Auffindesituation einer Fliegerbombe in einem 3D-Stadt- und Geländemodell definiert werden. Es lässt sich beispielsweise festhalten, um welchen Bomben-Typ es sich handelt, wie tief die Bombe unter der Erde liegt und wie sie geborgen werden soll. Innerhalb weniger Stunden werden die Druckwellenausbreitung und der Splitterflug simuliert sowie Gefahrenbereiche ermittelt, welche wiederum im 3D-Stadtmodell visualisiert werden. Auf dieser Basis können die Sicherheitskräfte die nötigen Schutzmaßnahmen planen. Dazu können sie auch Objekte aus dem 3D-Stadtmodell entfernen oder neue integrieren, zum Beispiel temporäre Containerwände. Der Prototyp der Software wurde im Dezember 2019 auf die Probe gestellt: Bei Bauarbeiten in der Dortmunder Innenstadt wurden drei Verdachtspunkte mit eventuell nicht detonierten Fliegerbomben im Krankenhausbezirk entdeckt. Unterstützt von der Kampfmittelräumung und Experten des Ingenieurbüros Döring plante der Krisenstab der Stadt daraufhin mit Hochdruck eine der größten Evakuierungsmaßnahmen in der Nachkriegszeit für mindestens 13.000 betroffene Bürger und mehrere Krankenhäuser. „Dank der Unterstützung von Virtual City Systems gelang es, die Gefahren aus den mutmaßlichen Bombenverdachtsfällen genauer und differenzierter vorherzusagen“, berichtet der Stadtrat und Leiter des Krisen-Managements, Arnulf Rybicki. „Dies hat vor allem in den betroffenen Krankenhäusern geholfen, die Evakuierungs- und Schutzmaßnahmen auf ein vertretbares Minimum zu begrenzen und beispielsweise auf eine Evakuierung von Intensivpatienten und Frühchen zu verzichten.” Mithilfe der Software ließen sich sichere Bereiche innerhalb der Gebäude identifizieren, wo insgesamt 600 Personen verbleiben konnten.

Einfach schnelle Ergebnisse

VC Blastprotect wurde für Anwender konzipiert, die keine Erfahrung mit Simulationstechnologien haben. Die webbasierte Lösung arbeitet als Erweiterung der 3D-Karte VC Map und ist auf die notwendigsten Eingaben begrenzt. Erste Ergebnisse liegen innerhalb weniger Minuten vor, die physikalischen Simulationen sind nach wenigen Stunden verfügbar und werden in der 3D-Karte verständlich und aussagekräftig dargestellt. Das Hosting der Lösung und die rechenintensiven Simulationen werden von Virtual City Systems als Service angeboten, lassen sich aber auch in der Infrastruktur des Anwenders betreiben.

Dr. Stefan Trometer ist Managing Director Business Development bei Virtual City Systems.

https://www.dortmund.de
https://vc.systems
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe November 2020 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Geodaten-Management, Vivento, Dortmund, Virtual City Systems

Bildquelle: Virtual City Systems

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