Software-Design:
Passend interagieren


[20.7.2021] Ein anthropozentriertes E-Government zielt auf die optimale Gestaltung der Mensch-­Maschine-Schnittstelle ab. Um die Bürgerfreundlichkeit digitaler Services zu erhöhen, ­werden etwa unterschiedliche Eigenschaften und Interessen der Nutzer berücksichtigt.

E-Government-Design: Attribute der Nutzer einbeziehen. Drei Dimensionen gilt es bei der Entwicklung von E-Government-Systemen zu kombinieren. Das ist erstens die Verwaltung, in der zahlreiche Leistungen entwickelt und angeboten werden. Zweitens ist das der Bereich der Computertechnologie mit leistungsstärkeren und vielfältigeren Hard- und Software-Systemen. Dritte und wichtigste Dimension ist schließlich der Mensch, der als Bürger die Services der Verwaltung mittels IT-Techniken in Anspruch nimmt. E-Government stellt somit die Schnittstelle zwischen Mensch, Maschine und Verwaltung dar.
Bei der Optimierung von E-Govern­ment-Systemen sind alle drei Dimensionen zu beachten. Empfehlungen zur Steigerung der Effizienz in der Verwaltung wurden insbesondere durch das New Public Management und die darauf aufbauenden Reformvorschläge ausgesprochen. Optimierungsverfahren bezüglich der technischen Dimension Maschine/Computer, vor allem in Hinblick auf deren Programmierung, sind ebenfalls zahlreich vorhanden. Beispielhaft ist die Methode des Business Process Model and Notation (BPMN) zu nennen, bei der nach Visualisierung eines Prozesses der Workflow optimiert werden kann. Dieser kann nach Effizienzkriterien, wie Kosten, Zeit oder Programmschritten, untersucht, aber auch hinsichtlich der Ressourcen, Mitarbeiter oder Bürger analysiert werden. Da die dritte Dimension – der Mensch – schon einbezogen wird, kann der Frage nachgegangen werden, ob ein Programm nicht nur effizient, sondern auch effektiv gemessen am Ergebnis ist.

Optimierung der Mensch-Maschine-Interaktion

Sollen E-Government-Systeme bürgerfreundlich und nutzerorientiert gestaltet sein, wie es im Onlinezugangsgesetz (OZG) gefordert wird, muss die Mensch-Maschine-Interaktion optimiert werden, damit den Bürgern der Nutzen aus der ­digitalen Anwendung überhaupt ersichtlich wird. Genau darin liegt der Ansatz des anthropozentrierten ­E-Governments. Schon vor mehr als 50 Jahren haben Computerpioniere wie Doug Engelbart auf die Zweckmäßigkeit einer optimalen Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle hingewiesen und wegweisende Vorschläge dazu gemacht, die mittlerweile selbstverständlich sind – etwa Maus oder Piktogramme. Auch die natürliche Spracheingabe oder KI-basierte Übersetzungsprogramme sind heutzutage keine Science Fiction mehr. Will man jedoch die Priorisierung der Nutzerorientierung bei E-Government-Systemen aufrechterhalten, wird man nicht umhinkommen, die Benutzer stärker zu analysieren. Der Stakeholder-Value-Ansatz bietet sich als geeignetes Mittel an. Denn mit ihm werden interne und externe Stakeholder definiert und deren unterschiedliche Eigenschaften und Interessen ermittelt. Am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main lässt sich die Notwendigkeit leicht erläutern. Die größte Gruppe der externen Stakeholder sind hier die über 750.000 Einwohner, die aus über 100 Nationen stammen. Auch die mehr als 60.000 Unternehmen mit internationaler Ausprägung stellen eine große externe Stakeholder-Gruppe dar. Größte interne Stakeholder-Gruppe sind die circa 10.000 Mitarbeiter der Stadtverwaltung – diese ist in sich zwar etwas homogener zusammengesetzt, generell dürfte trotzdem ersichtlich sein, dass die meisten externen und internen Gruppen eher heterogen sind.
Ein anthropozentriertes Software-­Design setzt hier an, da es sich mit Besonderheiten der menschlichen Kommunikation mit Computern beschäftigt. Der Forschungsbereich Mensch-Maschine-Interaktion oder Human Computer Interaction untersucht die unterschiedlichen Dimensionen innerhalb des Beziehungsgeflechts Mensch-Maschine. Zwar verfügen die meisten Menschen über die gleichen Sinne, kombinieren diese jedoch teilweise anders. Bei einer näheren Betrachtung der Mensch-Maschine-Interaktion wird man deshalb schnell auf Unterschiede stoßen.

Für ein anthropozentriertes Software-Design

Um diese genauer beschreiben zu können, werden bei einem anthropozentrierten Software-Design kognitionswissenschaftliche, psychologische oder soziologische Aspekte ebenso analysiert wie ethnologische und kulturanthropologische. Relativ schnell als kultureller Unterschied wahrgenommen wird die Sprache. Auf die Interaktion zwischen Mensch und Computer haben aber zahlreiche weitere Faktoren Einfluss, weshalb die Reduktion auf die relativ leicht zu digitalisierenden audiovisuellen Sinne zu kurz greift. Für eine genauere Betrachtung sollten alle Sinne untersucht werden. Auch Faktoren wie Zeit und Verbindlichkeit sind in das Kommunikationsverhalten einzubeziehen. Der Kulturanthropologe Edward Hall hat ermittelt, dass mehr als 80 Prozent der Kommunikation nonverbal erfolgt. Stellt man etwa das Kommunikationsverhalten von Personen, die in Brasilien aufgewachsen sind, demjenigen von Personen aus Japan oder Korea gegenüber, werden erneut Unterschiede sichtbar.
Für ein anthropozentriertes Software-Design gibt es mehrere Verfahren. So hat die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) in ihrem Bericht Nr. 5/2020 ein Methodenpaket zur Entwicklung von E-Government-Prozessen vorgestellt. Das als Servicedesign bezeichnete Verfahren ähnelt dem etwas älteren Design Thinking, das die drei Dimensionen Team, Raum und Prozess näher betrachtet. Der Raum unterteilt sich dabei in einen Problem- und einen Lösungsraum. Die Dimension Team ist deshalb wichtig, da die Designentwicklung nur in Team-Arbeit gelöst werden kann, wobei die Teams aus Personen unterschied­licher Disziplinen und Fachbereiche bestehen. Während im Problemraum die Schritte Verstehen, Beobachten und Synthese vollzogen werden, besteht der Lösungsraum aus Ideenfindung, Prototyping und Testen. Sowohl beim Design Thinking als auch beim Servicedesign wird dem Faktor Mensch eine hohe Aufmerksamkeit zugestanden.

Nur Akzeptanz der Nutzer führt zu Wirtschaftlichkeit

Mittels so genannter Personas – idealtypischen Personen – werden etwa beim Servicedesign Attribute der Nutzer ermittelt und näher beschrieben. Das ist wesentlich einfacher als eine Analyse der Zielgruppen durch herkömmliche Cluster-Analysen in Form einer repräsentativen Teil- oder Vollerhebung. Die in Teams entwickelten Personas beschreiben eine überschaubare Anzahl eng abgegrenzter Benutzertypen für einen Prozess. Dabei werden neben Alter, Beruf, Geschlecht oder Familienstand auch kulturelle Unterschiede, wie Sprache, Religion oder Nationalität, einbezogen. Der Unterschied zwischen der Definition von Zielgruppen und der Persona ist, dass es sich um einen fiktiven, repräsentativen Charakter einer Zielgruppe handelt.
Die Vielfalt einer Stakeholder-Gruppe wird so auf eine überschaubare Menge an potenziellen Nutzern reduziert. Am Beispiel des Prozesses „Gefährliche Hunde, Antrag auf Haltung“ lässt sich beispielhaft zeigen, dass nicht alle 750.000 Einwohner der Stadt Frankfurt am Main jemals einen solchen Antrag stellen werden.
Die Frage, ob kulturelle Unterschiede in der Mensch-Maschine-Interaktion bei der Entwicklung von E-Government-Systemen berücksichtigt werden sollten, bedarf noch der Klärung. Beantworten lässt sie sich, indem man untersucht, ob sich E-Government-Systeme in verschiedenen Ländern mit kulturellen Unterschieden unterschiedlich entwickelt haben. Unstrittig ist, dass nur E-Government-Systeme, die von den Nutzern akzeptiert werden, das Kriterium der Wirtschaftlichkeit erreichen. Denn nur diese sind effektiv und effizient zugleich.

Ralf-Rainer Piesold ist Stadtrat a. D. und Professor für Public Administration an der Frankfurt University of Applied Sciences.

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Juli 2021 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: IT-Infrastruktur, E-Government, Software-Design

Bildquelle: Jakub Krechowicz/stock.adobe.com

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