REPORT:
EU-DLR nach dem Stichtag


[25.1.2010] Vor knapp einem Monat ist die Frist für die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie abgelaufen. Nicht immer ist alles reibungslos verlaufen. Außerdem fängt die eigentliche Arbeit jetzt erst an, wenn sich die theoretischen Überlegungen in der Praxis bewähren müssen.

EU-DLR: Stolpersteine und Chancen bei der Umsetzung. „Ich würde mir einmal ein IT-Projekt wünschen, das am Ende entspannt verläuft, aber das gibt es wahrscheinlich nicht.“ So hatte sich Georg Matzner auf der Moderner Staat über die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in Hessen geäußert und damit sicherlich einigen aus der Seele gesprochen. Mit dem Umsetzungsstand zum Stichtag dürfte der Gesamtprojektleiter für die IT-Umsetzung von EU-Dienstleistungsrichtlinie, Hessen-Finder und D115 im hessischen Innenministerium dann jedoch zufrieden gewesen sein. Hessen-CIO Horst Westerfeld betonte bei einer Veranstaltung am 28. Dezember 2009, das Land habe ein modernes technisches System entwickelt, das bundesweit neue Maßstäbe in Sachen Bürger- und Kundenfreundlichkeit setze.
Auch Baden-Württemberg hat bei der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie seine Hausaufgaben gemacht, so Innenminister Heribert Rech. Wer im Ländle seine Dienste anbieten will, erfährt unter www.service-bw.de alles, was dafür zu tun ist und kann sein Antragsverfahren über dieses Portal elektronisch rechtssicher abwickeln. „Wir bieten mit service-bw ein durchdachtes und nutzerfreundliches elektronisches System und sind damit bundesweit in der Spitzengruppe“, sagte Rech.

Stolpersteine bei der Umsetzung

Schleswig-Holstein hingegen hat sich die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie sicherlich anders vorgestellt. Das nördlichste Bundesland hatte als erstes über die Verortung des Einheitlichen Ansprechpartners entschieden und war auch ansonsten stets von einer termingerechten Realisierung ausgegangen. Auf der Zielgeraden ist Schleswig-Holstein dann zurückgefallen. Der Grund: Dem beauftragten Software-Unternehmen war es nicht gelungen, eine entsprechende Portallösung zu liefern (wir berichteten). Daraufhin hat der IT-Dienstleister Dataport die Notbremse gezogen und selbst eine Lösung programmiert, um wenigstens die Basisanforderungen der EU-DLR erfüllen zu können und damit gesetzeskonform zu sein.
In anderen Fällen hat man den Eindruck, die Verwaltung steht sich selbst im Weg. Klaus Eisele, E-Government-Beauftragter der Stadt Nürnberg, sagt: „Bei der Umsetzung im Freistaat Bayern kommt der Servicegedanke zu kurz.“ Erst kurz vor Weihnachten wurde im Landtag das bayerische EAP-Gesetz verabschiedet. Die Aufgaben des Einheitlichen Ansprechpartners werden auf die Kammern übertragen. Kreisen und kreisfreien Städten wird die Möglichkeit eingeräumt, bis 30. Juni 2010 anzumelden, dass sie EAP werden wollen. Hierzu müssen die Kommunen laut Eisele bestimmte Anforderungen erfüllen, die aber noch niemand kennt. Das lange Hinauszögern der Verortungsentscheidung in Bayern hat nach Angaben des Nürnberger E-Government-Chefs dazu beigetragen, dass sich die elektronische Erreichbarkeit kleinerer Kommunen auf eine E-Mail-Adresse beschränkt. Eine ambitioniertere Umsetzung sei aber auch seitens des Freistaates nicht zu erkennen, meint Eisele. Er bedauert dies, da die Verwaltung somit die Chance zur Vereinfachung von Verfahrensabläufen vergebe, welche die europäische Richtlinie biete.

Vorreiter in Bayern

Nicht so Eiseles mittelfränkische Heimatstadt. Nürnberg beschäftigt sich seit mehr als eineinhalb Jahren mit der Thematik und ist dadurch auch zum Vorreiter der Umsetzung in Bayern avanciert, so Eisele. Die Nürnberger haben bereits ein EAP-Portal freigeschaltet, auch wenn ihnen die Rolle als Einheitlicher Ansprechpartner rechtlich noch gar nicht zugewiesen ist. Der E-Government-Verantwortliche erklärt das so: „Wir nutzen jetzt die Gelegenheit, weil wir das System haben und weil wir es stadtintern für sinnvoll halten.“ Dahinter steckt folgende Überlegung: Als kreisfreie Stadt kann Nürnberg die EAP-Rolle zugewiesen bekommen, ist aber auf jeden Fall zuständige Stelle. Wenn also die Kammern die EAP-Funktion wahrnehmen, werden sie sich an die Behörde Stadt Nürnberg und nicht an einzelne Ämter wenden. Deshalb ist es laut Eisele wichtig, intern eine koordinierende Stelle zu haben.

EU-DLR nur für Ausländer?

Der Freistaat Bayern hat nicht nur sehr spät über die Verortung des Einheitlichen Ansprechpartners entschieden, das bayerische EAP-Gesetz weist noch eine andere Besonderheit auf: Inländer dürfen den EAP nicht in Anspruch nehmen. Die Begründung: Die EU-DLR bezieht sich auf grenzüberschreitende Vorgänge. Juristisch sei das zwar korrekt, erklärt Eisele, aber technisch nicht so einfach umsetzbar. Zudem sei es inländischen Dienstleistern nur schwer zu vermitteln, warum sie den Service nicht nutzen dürfen. Das Argument, dass sich Inländer in den Zuständigkeiten der Verwaltung gut genug auskennen, um sich auch ohne ein derartiges Angebot zurechtzufinden, will Eisele nicht gelten lassen. Dies sei kein serviceorientiertes Vorgehen. In anderen Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Berlin und Rheinland-Pfalz kommen auch inländische Gewerbetreibende in den Genuss der Abwicklung über den EAP.

Single oder Kooperation?

Einen Service der besonderen Art schreibt das EAP-Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vor: Eine landeseinheitliche Darstellung der Informationen und eine landesweit einheitliche Bedienerführung. Angesichts der Vielzahl der Einheitlichen Ansprechpartner in Nordrhein-Westfalen ist dies auch durchaus sinnvoll. Hier nehmen Kreise und kreisfreie Städte die Aufgaben des EAP wahr, weshalb das Gesetz eine Begrenzung auf 18 empfiehlt. Mehr als 20 sind es geworden, darunter Single-EAPs wie Düsseldorf, Dortmund oder Köln und Kooperationsmodelle wie beispielsweise im Münsterland oder in der Region Ostwestfalen-Lippe, wo der EAP im Kreishaus Herford angesiedelt ist.
Nicht in jedem Fall ist der Single-Status bewusst gewählt. So fungiert beispielsweise Dortmund als Einzel-EAP, da die Kooperationsgespräche mit den Umlandkommunen nicht erfolgreich waren, berichtet Reiner Klüh, Leiter des Dortmunder Systemhauses. Bei der Realisierung des Web-Portals konnte auf die vorhandene Infrastruktur aufgesetzt werden. Das virtuelle Rathaus doMap bietet bereits die Möglichkeit, Formulare an die Stadt zu schicken und den Bearbeitungsstand abzufragen. Bei dem Customer-Relationship-Management handelt es sich um eine Lotus-Notes-Eigenentwicklung. Umgesetzt wurde das Projekt in Zusammenarbeit mit IBM. Als Zielgruppe sieht Dortmund übrigens nicht etwa ausländische Dienstleister. Udo Mager, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Dortmund: „Wir setzen mit unserer neuen Aufgabe zwar EU-Recht um, das damit verbundene Dienstleistungsangebot kommt aber in erster Linie den lokalen Unternehmen zugute.“
Strukturen, die über die Dienstleistungsrichtlinie hinausreichen, werden auch im Münsterland geschaffen. Hier setzen die Kreise Borken, Coesfeld, Steinfurt und Warendorf sowie die kreisfreien Städte Hamm und Münster die EU-DLR gemeinsam um. Olaf Gericke, Landrat des Kreises Warendorf: „Von den Serviceeinrichtungen wird schließlich einiges erwartet. Neben der Realisierung von Informationsportalen müssen sie auch die Verwaltungsverfahren in elektronischer Form anbieten. Die dafür notwendige Infrastruktur und Kompetenz können besser gemeinsam aufgebaut werden.“ Dass es sich um eine gemeinsame Aufgabe handelt, wird sogar bei der Verortung des Einheitlichen Ansprechpartners deutlich: Der Kreis Warendorf hat dessen Aufgaben mit der Option übernommen, dass sie nach zwei Jahren einem anderen Kooperationspartner übertragen werden. Diese Konstellation fördere bereits jetzt die Zusammenarbeit der Beteiligten, meint der IT-Dienstleister der Stadt Münster, citeq, der den EAP informationstechnisch unterstützt. Ob ein derartiger Wechsel tatsächlich sinnvoll sei, müssten die Erfahrungen der kommenden Monate zeigen.

Praxistest

Nicht nur im Münsterland muss sich der Einheitliche Ansprechpartner in der Praxis bewähren. Entscheidend für den Erfolg sind laut Kay Ruge, Beigeordneter beim Deutschen Landkreistag, ein entsprechendes Marketing sowie vor allem nachprüfbare Mehrwerte und Leistungen für die Wirtschaft. Nach zwei Jahren sollen die jeweiligen Lösungen evaluiert, verbessert und eventuell vereinheitlicht werden, kündigte Erwin Schwärzer von der Geschäftsstelle Deutschland-Online beim Bundesinnenministerium auf der Moderner Staat an. In Nordrhein-Westfalen ist eine Evaluation bereits für Ende dieses Jahres vorgesehen.
Wichtige Impulse hat die EU-Dienstleistungsrichtlinie gegeben, meint Erwin Schwärzer, auch wenn sie die Verwaltungsmodernisierung nicht ganz so stark vorangetrieben hat, wie ursprünglich erhofft. Kay Ruge hält die Umsetzung der europäischen Vorgaben in Deutschland alles in allem für gelungen. Er sagte gegenüber Kommune21: „Sicher hätte man in dem einen oder anderen Fall eine umfassendere Verwaltungsmodernisierung gern gesehen, bei realistischer Betrachtung ist aber dennoch viel erreicht worden, was ohne den Katalysator der EU-Dienstleistungsrichtlinie jedenfalls in diesem Umfang und in dieser Geschwindigkeit nicht hätte erreicht werden können.“
Und natürlich haben die Anstrengungen für die Verwaltungsmodernisierung nicht mit dem 28. Dezember 2009 geendet. Nach Angaben von Ruge gilt es medienbruchfreie Verfahren zwischen Einheitlichem Ansprechpartner und zuständigen Stellen sowie insgesamt innerhalb der öffentlichen Verwaltung flächendeckend zu verwirklichen. Erwin Schwärzer vom BMI bezeichnet ein föderatives Informationsmanagement und Prozessregister ebenso wie den Standard XEUDLR als wichtige Elemente für die Weiterentwicklung. Die Standardisierung, die ebenenübergreifend erfolgen müsse, betreffe hauptsächlich die Bereiche Sicherheit und Datenaustausch, so Schwärzer. IT-Systeme können aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht standardisiert werden. Eine Vereinheitlichung der Benutzerführung wie sie etwa im EAP-Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen festgelegt ist, hält Schwärzer jedoch für wünschenswert. Kay Ruge vom Deutschen Landkreistag kann sich außerdem vorstellen, dass das wirtschaftsfördernde Instrument über den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie hinaus zur Verfügung gestellt wird. Es bleibt also spannend und mancherorts vielleicht auch noch eine Weile unentspannt. (rt)

http://www.dienstleisten-leicht-gemacht.de
http://www.eu-go.eu
http://www.service-bw.de
http://www.eap.nuernberg.de

Stichwörter: EU-Dienstleistungsrichtlinie (EU-DLR), Einheitlicher Ansprechpartner (EAP), Georg Matzner, Horst Westerfeld, Nürnberg, Klaus Eisele, Dortmund, Münsterland, Kay Ruge, Erwin Schwärzer



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