Montag, 10. November 2025

Digitale SouveränitätBalance entscheidend

[10.11.2025] Die Stadt München nähert sich dem Ziel der digitalen Souveränität, indem sie Infrastruktur, Software, Daten und Menschen in den Blick nimmt. Entscheidend sind auch Kooperation statt Inseldenken und das Ermöglichen der digitalen Teilhabe.
Eine Frau steht inmitten eines Rechenzentrums.

München-CDO Laura Dornheim im Rechenzentrum der bayerischen Landeshauptstadt.

(Bildquelle: IT-Referat, Landeshauptstadt München)

Digitale Souveränität ist kein abstraktes Zukunftsthema mehr, sondern entscheidet heute darüber, ob Kommunen handlungsfähig bleiben – politisch, wirtschaftlich und technisch. Für die bayerische Landeshauptstadt München ist sie daher ein zentrales Leitprinzip der Digitalisierungsstrategie. Doch was bedeutet digitale Souveränität konkret und wie kann sie in einer komplexen urbanen Verwaltung umgesetzt werden?

Hierbei hilft ein Gedankenexperiment: Stellen wir uns eine Gefängniszelle vor. Kein Mitspracherecht über den Tagesablauf, keine Wahlmöglichkeiten, totale Abhängigkeit. Das Gegenteil davon scheint zunächst absolute Autarkie – die einsame Insel, auf der man alles selbst herstellen muss. Doch auch das ist keine echte Freiheit, sondern eine andere Form der Einschränkung. Übertragen auf die digitale Welt bedeutet das: Weder totale Abhängigkeit von wenigen globalen Konzernen noch unrealistische Selbstversorgung sind nachhaltige Wege. Wahre Souveränität entsteht in der Balance, in der Fähigkeit, eigenständig zu entscheiden, welche Technologien genutzt werden, und dabei auf ein stabiles, sicheres Ökosystem zurückzugreifen.

Kommunen tragen eine besondere Verantwortung. Sie müssen Digitalisierung so gestalten, dass sie demokratische Strukturen stärkt und nicht schwächt. Denn wer die Kontrolle über Daten, Systeme und Infrastrukturen verliert, riskiert Abhängigkeiten, die im Ernstfall zur Gefahr für Sicherheit, Handlungsfähigkeit und Innovationskraft werden können. Die geopolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre haben diese Risiken deutlich gemacht: Handelskonflikte, Sanktionen oder Lieferengpässe zeigen, wie fragil globale Lieferketten sind. Auch im digitalen Bereich müssen wir uns die Frage stellen, wie abhängig wir von Produkten und Diensten weniger internationaler Anbieter sein wollen.

Public Money, Public Code

Wir nähern uns dem Ziel der digitalen Souveränität, indem wir folgende vier Bereiche besonders in den Blick nehmen: Infrastruktur, Software, Daten und Menschen. München hat bereits vor über zehn Jahren in ein eigenes Rechenzen­trum investiert. Heute betreibt die Stadt eine eigene Cloudinfrastruktur, die zentrale digitale Dienste bereitstellt. Gleichzeitig wird auf marktübliche SaaS-Lösungen und Hyperscaler gesetzt – bewusst in einem ausgewogenen Verhältnis, um Flexibilität zu gewährleisten. Aktuell werden beispielsweise Gespräche mit souveränen Cloudanbietern über Kooperationen geführt.

Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass mit dem Ende von LiMux auch Open Source in München beendet sei. Das Gegenteil ist der Fall: In der Stadtverwaltung sind heute über 100 Open-Source-Lösungen im Einsatz, von Infrastruktur über Anwendungen bis hin zu Eigenentwicklungen. Wo immer es möglich ist, arbeiten wir nach dem Prinzip „Public Money, Public Code“: Software, die mit öffentlichen Mitteln entwickelt wird, wird grundsätzlich als Open Source veröffentlicht. Proprietäre Lösungen werden dort genutzt, wo es keine vergleichbaren offenen Alternativen gibt – pragmatisch, aber immer mit einer klaren Priorität für offene Systeme.

Open Source zahlt direkt auf digitale Souveränität ein. Offene Software macht den Quellcode überprüfbar, vermeidet Abhängigkeiten von einzelnen Herstellern und ermöglicht es, Lösungen gemeinsam mit anderen Kommunen oder Partnern weiterzuentwickeln. Sie schafft Transparenz, stärkt die Sicherheit und fördert Innovation, weil Ideen geteilt, geprüft und verbessert werden können. So behält die Stadt München die Kontrolle über ihre Systeme und bleibt gleichzeitig flexibel, um neue Anforderungen schnell umzusetzen.

Digitale Kompetenz ist der Schlüssel

Ein zentraler Baustein digitaler Souveränität ist der souveräne Umgang mit Daten. Ziel ist es, Daten besser nutzbar zu machen, nicht nur für eine effizientere interne Verwaltung, sondern auch für transparente, offene Datenangebote, die Wirtschaft, Wissenschaft, Start-ups und Zivilgesellschaft gleichermaßen nutzen können. Dabei geht es nicht nur um die Bereitstellung, sondern auch um die qualitativ hochwertige Aufbereitung und die sichere Verwaltung dieser Daten. Einheitliche Standards, klare Verantwortlichkeiten und sichere Prozesse sorgen dafür, dass Daten verlässlich, interoperabel und datenschutzkonform genutzt werden können.

Technologie allein schafft jedoch keine Souveränität. Es braucht dazu auch Menschen, die sie verstehen, anwenden und weiterentwickeln. Die Stadt München setzt daher auf Weiterbildung und Teilhabe sowohl für Mitarbeitende der Verwaltung als auch für Bürgerinnen und Bürger. Digitale Kompetenz ist der Schlüssel, um technologische Entwicklungen selbstbewusst zu begleiten und aktiv zu gestalten.

Auch wenn München bereits viele Schritte gegangen ist: Keine Kommune ist eine Insel. Digitale Souveränität lässt sich nur im Verbund erreichen. Deshalb vernetzt sich Bayerns Landeshauptstadt intensiv mit anderen Kommunen und Partnerorganisationen. Zuletzt zum Beispiel in einer strategischen Partnerschaft mit Hamburg und Schleswig-Holstein im KERN-Projekt zur Entwicklung eines UX-Standards für die deutsche Verwaltung.

Selbstbestimmt digitalisieren

Ein zentrales Ziel ist es, nicht nur Wissen, sondern auch selbst entwickelte Open-Source-Lösungen zu teilen. Gleichzeitig setzt sich München dafür ein, dass es in Europa eine koordinierte Förderung und Nutzung souveräner Technologien gibt – von klaren Vorgaben des Bundes bis hin zu europäischen Richtlinien.

Digitale Souveränität ist kein Elitenprojekt. Sie gelingt nur, wenn alle mitgenommen werden – von der Verwaltung über die lokale Wirtschaft bis zur Bürgerschaft. Jede und jeder kann einen Beitrag leisten: kritisch hinterfragen, welche Dienste genutzt werden, wie Daten verarbeitet werden und ob es gute offene Alternativen gibt. In München wird daher großer Wert auf Beteiligung gelegt, beispielsweise durch Veranstaltungen wie den Digitaltag, Schulungsangebote und offene Austauschformate. So entsteht eine Community, die digitale Souveränität nicht nur versteht, sondern aktiv mitgestaltet.

Digitale Souveränität ist kein Ziel, das einmal erreicht und dann abgehakt werden kann. Sie ist ein fortlaufender Prozess, der technologische, rechtliche und gesellschaftliche Entwicklungen immer wieder neu ausbalanciert. Für München steht fest: Die Stadt will die Digitalisierung selbstbestimmt gestalten – zum Nutzen ihrer Bürgerinnen und Bürger und als Beitrag zu einer starken, demokratischen und souveränen digitalen Infrastruktur in Europa. Denn digitale Souveränität bedeutet am Ende nichts anderes, als die Freiheit zu haben, eigene Entscheidungen zu treffen: sicher, verlässlich und in Verbundenheit mit anderen.

Dr. Laura Dornheim ist CDO und IT-Referentin der Stadt München.




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