WohngeldDie Kommunen müssen es ausbaden

Dr. Christian Aegerter, Hauptamtsleiter der Stadt Leipzig
(Bildquelle: Stadt Leipzig)
Herr Aegerter, die Bundesregierung hat Ende Dezember 2022 neue Regelungen beim Wohngeld beschlossen. Von einer schlagartigen Verdreifachung der Zahl der Antragsberechtigten ist die Rede. Wie ist die Situation in Leipzig?
Wir sind von dem Gesetzgebungsverfahren überrascht worden. Unabhängig vom politischen oder fachlichen Inhalt fanden wir das Gesetzgebungsverfahren genauso wie beim Bürgergeld grenzwertig. Man startet in Berlin ein Gesetzgebungsverfahren, verzichtet darauf, die kommunale Ebene einzubinden und auf den Rat von Fachleuten zu hören, die vielfältige Vereinfachungsvorschläge gemacht haben. Man nimmt nicht zur Kenntnis, dass damit eine Verdreifachung der Zahl der Antragsteller verbunden ist, rechnet die Folgekosten mit falschen Zahlen klein und ignoriert, dass die Kommunen in der Kürze der Zeit überhaupt nicht die Möglichkeit hatten, Stellen und Personal für die Bearbeitung zu beschaffen, von dem erforderlichen Digitalcheck des Verfahrens in der Verantwortung des Gesetzgebers mal ganz abgesehen.
Was hätte denn besser vorbereitet werden können?
Ich bin einer der Autoren der Dresdner Forderungen, mit denen Kommunen auf dem Kongress des IT-Planungsrats in Dresden 2021 eine Änderung der Aufgabenerfüllung bei so genannten Pflichtaufgaben des Bundes im Zeitalter digitaler Prozesse forderten (wir berichteten). Kurz gesagt bedeutet das, dass der Bund bei diesen Aufgaben zunächst prüfen muss, ob sie nicht von vornherein digital auf Bundesebene erledigt werden können oder alternativ zentrale IT-Verfahren für die Abwicklung der Prozesse zur Verfügung gestellt werden. Das Wohngeld wäre eigentlich der Prototyp für einen Prozess gewesen, der gar nicht unbedingt auf die kommunale Ebene übertragen werden muss, sondern bei dem die Bearbeitung gleich auf Bundes- oder Landesebene erfolgen kann. Hier ist kein persönliches Erscheinen der Antragsteller erforderlich, alle Daten können und werden heute schon digital oder auch schriftlich eingereicht. Letztlich wird das Wohngeld anteilig vom Bund und den Ländern gezahlt.
Wie stellen Sie sich die Abwicklung vor?
Man hätte diesen Prozess auf der Bundesebene mit einem zentralen Portal, mit zentral bereitgestellten Formularen und Fachverfahren abwickeln können. Wenn die zuständige Ministerin, Klara Geywitz, dem Finanzminister gesagt hätte, ich muss nicht nur die Erhöhung des Wohngeldes finanzieren, sondern brauche dafür auch 5.000 neue Stellen, dann hätte das Gesetz garantiert ganz anders ausgesehen, nämlich einfacher und digitaler. So aber wird wieder einmal die ganze Arbeit auf eine andere föderale Ebene abgeschoben und die Kommunen dürfen das jetzt ausbaden. Das erzeugt nicht nur in der Verwaltung Frust, sondern auch bei den Antragstellern, die nun monatelange warten dürfen. Das kann und darf nicht die Gesetzgebung der Zukunft sein. Man gefährdet damit das Vertrauen der Menschen in unseren Rechtsstaat.
Welche Maßnahmen haben Sie in Leipzig ergriffen, um die Situation zu bewältigen?
Wir haben noch im November 2022 beschlossen, 30 neue Stellen zu schaffen und dafür neues Personal einzustellen. Die ersten sind auch schon mit der Bearbeitung der Anträge beschäftigt. Aber es rollt eine riesige Antragswelle auf uns zu, weil nicht nur die Anspruchsberechtigten kommen, sondern auch viele Bürgerinnen und Bürger einen Probeantrag stellen. In Leipzig haben wir etwa 6.000 Wohngeldempfänger nach altem Recht. Man muss aber bedenken, dass das Wohngeld immer dann neu berechnet werden muss, wenn sich das zu berücksichtigende Einkommen oder die Ausgaben ändern, zum Beispiel wenn sich das Haushaltseinkommen ändert oder die Betriebskosten steigen. Pro Wohngeldantragsteller werden also etwa vier Vorgänge pro Jahr bearbeitet. Das summiert sich: Beim Wohngeld plus gibt es zusätzlich eine neue Klimakomponente und auch die Einkommensgrenzen wurden geändert. Wir gehen in Leipzig davon aus, dass wir künftig 15.000 zusätzliche Wohngeldfälle haben werden, mit den bisherigen Vorgängen summiert sich das auf 80.000 bis 100.000 zu bearbeitende Vorgänge pro Jahr.
Wie hoch belaufen sich die Mehrkosten für die Kommune?
Das Wohngeld selbst wird nicht von der Kommune bezahlt, sondern Bund und Land teilen sich die Kosten. Wir als Kommune finanzieren die Personal- und Sachkosten der Wohngeldstellen. Wir rechnen mit Kosten von rund zwei Millionen Euro pro Jahr. Derzeit laufen aber noch Verhandlungen mit dem Freistaat Sachsen über einen Finanzausgleich.
Welche Software nutzen Sie zur Unterstützung?
In den Bundesländern wird das Wohngeld unterschiedlich gehandhabt mit jeweils unterschiedlicher Software. In Sachsen gibt es ein Verfahren, das alle Wohngeldstellen nutzen, es heißt DiWo (Dialogisiertes Wohngeldberechnungsverfahren) und wird vom sächsischen Dienstleister KISA bereitgestellt. Auch der neue Wohngeldantrag ist jetzt online und läuft digital über das Landesportal Amt24.de. Das heißt, Antragsteller können dort in ihrem Servicekonto die notwendigen Daten eingeben und Unterlagen einreichen. Immerhin ein Drittel der Antragsteller nutzt diese Möglichkeit bereits, und wir hoffen hier auf steigende Zahlen. Im Hintergrund fehlt allerdings noch ein Dokumenten-Management-System. Das soll in der ersten Jahreshälfte angeschlossen werden. Das ganze Verfahren wird derzeit in Baden-Württemberg getestet und wir hoffen, dass wir dann in der zweiten Jahreshälfte die komplette digitale Wohngeldakte zur Verfügung haben. Bisher berechnet DiWo nur das Wohngeld, legt aber keine Akte an. Wir müssen unbedingt weg von der Papierakte. Anträge müssen wirklich digital eingehen, digital bearbeitet, digital entschieden und digital abgelegt werden können.
Würde sich das Wohngeldverfahren eigentlich automatisieren lassen?
Es wäre bereits hilfreich, wenn einige Daten automatisiert eingehen würden. Dazu müssten aber die entsprechenden Register verknüpft werden. Ich schätze, dass etwa die Hälfte der Daten, die man für das Wohngeld braucht, in staatlichen Registern vorhanden ist, zum Beispiel das Einkommen, die Zahl der unterhaltspflichtigen Kinder, die Höhe der Leistungen vom Jobcenter oder von der Kranken- oder Rentenversicherung. Dennoch sind auch beim Wohngeld viele Prüfungen notwendig, um den Antrag sachgerecht zu bearbeiten: zum Beispiel die Miete und die individuellen Energie- und Heizkosten. Dies lässt sich nicht ohne Weiteres automatisieren. Dennoch kann man Verfahrenserleichterungen umsetzen und vor allem das gesamte Wohngeldverfahren ganz anders, nämlich digital, denken. Das würde wahrscheinlich auch bedeuten, unsere Datenschutzrichtlinien zu ändern oder zumindest weniger zu prüfen. Das würde die Bearbeitungszeit schon drastisch verkürzen.
Stichwort Verfahrenserleichterung: Was würde das für die Gesetzgebung bedeuten?
Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir in Zukunft nur noch Gesetze erlassen können, welche die Verwaltung auch umsetzen kann. Man kann nicht ständig neue Gesetze verabschieden und die Umsetzung auf andere föderale Ebenen delegieren, wenn dort das Personal fehlt. Wir erleben das an vielen Stellen, im IT-Bereich, in den Schulen, bei den Ärzten, bei der Polizei – alle rufen nach einer Fachkräfteoffensive, aber wenn niemand nachkommt oder zuwandert, müssen wir mit dem Personal auskommen, das wir haben. Dann dürfen wir nur die Regelungen schaffen, die wir auch umsetzen können, sonst haben wir einen zahnlosen Rechtsstaat, der das Vertrauen der Menschen verliert. Das heißt, wir müssen Gesetze konsequent von der Umsetzungserwartung her denken und vor allem das Prinzip ‚Wer bestellt, bezahlt‘ umwandeln in das Prinzip ‚Wer bezahlt, setzt digital um‘, denn mit Geld allein ist es in den meisten Fällen nicht mehr getan. Diese Erkenntnis scheint aber noch nicht überall angekommen zu sein.
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