Montag, 3. November 2025

InterviewDigitale Grundrechte wahren

[31.07.2018] Der Datenschutz-Grundverordnung müsste eine digitale Grundrechte-Charta folgen, meint Professor Johannes Caspar, Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI). Wie er sich eine solche vorstellt, erklärt er im Kommune21-Interview.
Professor Dr. Johannes Caspar

Professor Dr. Johannes Caspar, Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit

(Bildquelle: HmbBfDI/Thomas Krenz)

Herr Caspar, seit dem 25. Mai dieses Jahres gilt die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Warum kann diese Ihrer Ansicht nach nur ein erster Schritt sein?

Die Datenschutz-Grundverordnung stellt nicht nur die verantwortlichen Datenverarbeiter, sondern auch die Behörden vor Herausforderungen. Das betrifft die neuen Verfahren der Datenschutzaufsicht, für die künftig der Europäische Datenschutzausschuss eine zentrale Zuständigkeit hat, aber auch eine Vielzahl neuer Aufgaben und Befugnisse, deren Ausübung sehr zeitintensiv sein wird. Zudem bringt die Anwendung des neuen Rechts gerade für eine einheitliche Auslegung durch die Behörden auf nationaler sowie europäischer Ebene erhebliche Abstimmungsbedarfe mit sich.

Sie schlagen vor, der DSGVO eine digitale Grundrechte-Charta folgen zu lassen – wie sähe diese aus?

Eine digitale Grundrechte-Charta setzt auf der Ebene der Verfassung an. Sie ist daher nicht nur von der Rechtsgeltung höher anzusiedeln als die DSGVO, sondern enthält auch inhaltlich einen wesentlich weiter reichenden Regelungskatalog, der sich auf die gesamte Conditio humana im Zeitalter der Digitalisierung ausrichtet. Bei der digitalen Grundrechte-Charta geht es also um die Transformation der traditionellen Menschen- und Bürgerrechte in eine zeitgemäße, an den Gefährdungen der Digitalisierung ausgerichtete, moderne Generation fundamentaler Rechtsgarantien. Sie weist weit über den Bereich des Datenschutzes hinaus und erstreckt sich unter anderem auch auf Fragen des künftigen Sozialsystems, der Zukunft der Arbeit, des Schutzes vor Diskriminierung, der Regelung des Einsatzes von künstlicher Intelligenz oder des Rechts auf Zugang zu Informationen.

Welche Auswirkungen hätte eine solche Charta auf den behördlichen Datenschutz?

Die digitale Charta betont die Schutzdimension der Grundrechte und überträgt damit den Behörden eine besondere Verantwortung. Erforderlich ist nicht nur, dass die unabhängigen Kontrollstellen als Aufsichtsbehörden in angemessener Weise ausgestattet werden, um ihnen eine effiziente Aufgabenerfüllung zu ermöglichen. Vielmehr sind die staatlichen Instanzen in hohem Maße selbst für die Durchführung des Datenschutzes vor Ort verantwortlich. Auch wenn das Konzept der datenschutzrechtlichen Eigenverantwortlichkeit bereits im geltenden Recht bekannt ist, insbesondere mit Blick auf die Pflicht zur Bestellung von behördlichen Datenschutzbeauftragten, käme der digitalen Grundrechte-Charta noch eine verstärkende Funktion zu. Ein Beispiel: Sieht man sich die zahlreichen, von öffentlichen Stellen betriebenen Fanpages auf Facebook an, sind vor dem Hintergrund der gemeinsamen datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit zwischen Fanpage-Betreibern und Facebook – gerade mit Blick auf das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofs – die öffentlichen Stellen weit von einer Vorbildfunktion für den Datenschutz entfernt. Die digitale Grundrechte-Charta hätte hier die Funktion, klarzustellen, dass mit öffentlicher Gewalt ausgestattete Stellen im Lager des Datenschutzes zu stehen haben. Denn es ist ihre Aufgabe, die informationelle Selbstbestimmung der Bürger zu schützen. Dies setzt voraus, dass sie sorgsam mit den Daten umgehen.

„Ziel muss es sein, den Datenschutz bei allen Digitalisierungsplänen der Zukunft zu integrieren.“
Welche Forderungen richten Sie an die neue Bundesregierung und die Länder hinsichtlich der Weiterentwicklung des Datenschutzes?

Die derzeitige Diskussion um den Datenschutz auf der politischen Ebene ist durchaus von Ambivalenzen gekennzeichnet. Einerseits wird dessen Bedeutung gerade dann hervorgehoben, wenn es Verstöße oder Skandale zu beklagen gibt. Auf der anderen Seite gerät der Datenschutz leider stets auf die Verliererstraße, wenn es darum geht, sicherheitspolitische Ziele per Gesetz zu verwirklichen. Auch die politische Diskussion um einen weiteren Aufschub zur Datenschutz-Grundverordnung kurz bevor diese in Kraft trat zeigt, dass hier durchaus Vertrauensdefizite seitens der Politik gegenüber den unabhängigen Aufsichtsbehörden bestehen. Ein weiteres Beispiel: Der Bundesrat hat bislang trotz eines positiven Votums der Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder (DSK) keinen Vertreter für die Datenschutzbehörden der Länder im Europäischen Datenschutzausschuss gewählt. Und das, obwohl der Gesetzgeber auf ein eigenständiges Benennungsbefugnis des Bundesrats gegenüber der DSK bestanden hat und die DSGVO bereits geltendes Recht ist. All dies zeigt: Die Bedeutung unabhängiger Datenschutzbehörden hat offenbar nicht überall den Stellenwert, den man in Sonntagsreden häufig bemüht. Hier bedarf es mehr Vertrauen und Unterstützung.

Der Bund hat jetzt mit Dorothee Bär eine Staatsministerin für Digitales – was erwarten Sie sich davon?

Sehr viel: Digitalisierung macht es erforderlich, den Datenschutz für die Menschen intelligent mit zu planen. Im Kern ist der Datenschutz europäisch und modern, da er die Menschen nicht als Mittel, sondern als Zweck der Digitalisierung begreift. Die DSGVO setzt einen Regelungsrahmen für einen Markt von über einer halben Milliarde Menschen. Eine smarte Datenkultur kann es hier – anders als beispielsweise in China – nur geben, wenn der Datenschutz ein Teil davon ist. Also muss es unser Ziel sein, den Gedanken des Datenschutzes bei allen Digitalisierungsplänen der Zukunft zu integrieren.

Interview: Bettina Schömig




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