SozialwesenWeg aus dem Dschungel finden

Eingliederungshilfe: Neue Regeln effektiv umsetzen.
(Bildquelle: stadtratte/stock.adobe.com)
Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) soll Menschen mit Behinderungen echte Teilhabemöglichkeiten eröffnen, statt sie von Fürsorgeleistungen abhängig zu machen. Eine zentrale Rolle bei der Umsetzung spielen die kommunalen Sozialverwaltungen.
Unter den Änderungen, die sich mit dem BTHG verbinden, ist die Reform der Eingliederungshilfe eine der wichtigsten. Zum 1. Januar 2020 wird diese komplett auf das SGB IX übergehen. Hier konzentrieren sich die Bemühungen des Gesetzgebers, Leistungen für Menschen mit Behinderungen individuell und bedarfsgerecht, aber gleichzeitig nachvollziehbar und kostengünstig zu erteilen. Entsprechend umfangreich und tiefgreifend sind die Neuregelungen. Auf manchen Praktiker wirkt deren Umsetzung wie der Weg durch einen Dschungel, aber Pilotprojekte und angepasste Arbeitsinstrumente helfen, den Wandel zu gestalten.
Viele Bundesländer haben die Kreise und kreisfreien Städte als Träger der Eingliederungshilfe bestimmt. Aufgrund der räumlichen Nähe der Kommunen zu Betroffenen und Leistungsanbietern ist das folgerichtig. Im Gegenzug stellen sich für die Verwaltungen organisatorische, finanzielle und personelle Herausforderungen. Wie stark die Kommunen aktiv werden müssen, hängt vom Standort ab. Während in manchen Bundesländern die Eingliederungshilfe zu großen Teilen von den überörtlichen Trägern übernommen wird, ist in anderen Regionen ausschließlich die Kommune für die Aufgabenwahrnehmung zuständig.
Konkrete Realisierung oft unklar
Der Übergang der Eingliederungshilfe vom SGB XII in das SGB IX ist mehr als ein formeller Akt. Zunächst stellt sich die Frage, welche Ämter und Dienststellen die Aufgaben übernehmen sollen. Kommunale Sozialämter, welche die Eingliederungshilfe schon bisher betreuen, werden dies sicher fortführen. Schwierig wird dabei die Abgrenzung zu den existenzsichernden Leistungen, die im SGB XII verbleiben. Kommunen müssen überlegen, ob sie die Aufgaben zusammenführen oder trennen. Mancherorts sind sogar eigene Eingliederungsämter geplant. Eine weitere Herausforderung ist die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen. Hier sehen sich auch die Jugendämter, die bisher im Wesentlichen auf Grundlage des SGB VIII arbeiteten, mit der neu geregelten Eingliederungshilfe konfrontiert. Auf die Aufgabentrennung folgt wiederum die Notwendigkeit der ämterübergreifenden Zusammenarbeit.
So ausführlich die Ziele und Termine im BTHG formuliert sind, so offen ist in mancher Hinsicht deren konkrete Realisierung. Die erforderlichen Landesausführungsgesetze wurden teilweise erst im Laufe dieses Jahres vorgelegt. Sollen die Kommunen Anfang 2020 arbeitsfähig sein, wird der Vorlauf für die Umsetzung knapp. Darauf fühlen sich viele Kommunen noch nicht ausreichend vorbereitet. Strategische Fragen treffen dabei auf operative Herausforderungen. So ist absehbar, dass vielerorts die Mitarbeiter nicht ausreichen werden, um die anspruchsvollen Vorgaben des BTHG umzusetzen. Vor dem Hintergrund eines Fachkräftemangels im sozialen Bereich sind Neueinstellungen schwierig – und dann müssen die neuen Kollegen auch untergebracht und eingearbeitet werden.
Hohe Ansprüche an die Fallbearbeitung
Hilfreich bei der Orientierung sind die zahlreichen Pilotvorhaben, welche die Umsetzung des BTHG begleiten. Ganz aktuell ist beispielsweise die Erprobung des Teilhabeverfahrensberichts. Für viele Sozialhilfeträger ist diese Pflichtstatistik in der geforderten Ausführlichkeit ungewohnt. Trotz zahlreicher Bedenken hinsichtlich des Umfangs und des damit verbundenen Zeitaufwands sind die ersten Erfahrungen durchaus positiv. Der Kreis Nordfriesland sowie die Städte Emden und Darmstadt, die das Fachverfahren des Anbieters Prosoz Herten nutzen, signalisieren, dass sich die statistische Erhebung gut in den Arbeitsalltag integrieren lässt. Durchgehend IT-gestütztes Arbeiten ist hier allerdings Voraussetzung. Nur so können alle erforderlichen Daten systematisch erfasst werden und zur Berichtserstellung bereitstehen.
Besonders hoch sind die gesetzlichen Ansprüche an die Fallbearbeitung. Die Bedürfnisse des Hilfeempfängers sollen hierbei im Vordergrund stehen. Neben der aktiven Beteiligung der Betroffenen ist eine gute Zusammenarbeit mit den Leistungsträgern gefragt, um den Zielen des BTHG gerecht zu werden. So wird etwa die Unterscheidung in ambulante und stationäre Angebote entfallen. Das erfordert von allen Beteiligten Umorientierung und Flexibilität.
Kreis Nordfriesland geht voran
Pionierarbeit in diesem Bereich leistet der Kreis Nordfriesland. Schon vor Verabschiedung des Gesetzes hat der Kreis bei der Sozialhilfe auf die so genannte Sozialraumorientierung umgestellt. Bei diesem Konzept stehen die Vernetzung und die Kooperation mit den örtlichen Leistungserbringern im Vordergrund. Das Ziel sind niedrigschwellige Angebote, die möglichst frühzeitig und präventiv greifen. Zentrale Elemente des BTHG sind hier bereits umgesetzt, beispielsweise in einer kollegialen Fachberatung, die der Teilhabeplanung im SGB IX weitgehend entspricht.
Das BTHG vereinheitlicht auch Verfahren und Instrumente, die von den Verwaltungen bislang individuell gehandhabt wurden. Ein großes Thema in diesem Zusammenhang ist die Methode der Bedarfsfeststellung. Bundesweit vorgeschrieben ist die Orientierung an der internationalen ICF-Klassifikation. Die meisten Bundesländer entwickeln nun einheitliche Methoden auf Grundlage der ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health). Teilweise sind diese Verfahren bereits in Sozialhilfefachanwendungen eingearbeitet, wie etwa die B.E.Ni-Methode (Bedarfsermittlung Niedersachsen) oder der Integrierte Teilhabeplan (ITP) des Instituts für Personenzentrierte Hilfen in die Lösung OPEN/PROSOZ des Anbieters Prosoz Herten.
Interkommunaler Austausch angeraten
Wie wichtig die kommunale Umsetzung ist, konnte auf einer Fachtagung der PROSOZ-Anwendergemeinschaft am 29. Januar 2019 in Berlin verdeutlicht werden. Dort präsentierten BTHG-Modellkommunen ihre Strategien und Projekte für den Übergang der Eingliederungshilfe in die neue Praxis. Deutlich wurde aber auch, welche Unklarheiten und Hürden das Gesetzeswerk im Detail bereithält. Und leider ist die Verwirklichung der gesetzlichen Vorgaben nicht überall so weit fortgeschritten wie bei den Modellvorhaben. Ein interkommunaler Austausch ist deshalb dringend angeraten. Diesen Dialog möchte Prosoz Herten vorantreiben. Nächster Termin für kommunale EGH-Träger ist der 12. September in Wiesbaden.
Es bleibt die Erkenntnis, dass der Paradigmenwechsel nicht verfügt, wohl aber durch gelebte Praxis gelingen kann. Soll die Reform der Eingliederungshilfe Menschen mit Behinderungen wirklich Chancen zu mehr Teilhabe eröffnen, ist dies nicht nur eine Frage geänderter Aufgabenzuschnitte und Methoden. Die Vorgaben des BTHG müssen in eine effektive Aufgabenorganisation vor Ort übersetzt werden. Ganz entscheidend ist dabei die Zusammenarbeit aller Leistungserbringer und Rehabilitationsträger, welche die Betroffenen nicht vergisst. Den Kommunen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe August 2019 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
Weitere Informationen zur Reform des Bundesteilhabegesetzes
Mainz: Anmelden über den Kinder-Kompass
[11.11.2025] Die Kita-Anmeldung soll in Mainz ab sofort übersichtlicher und unkomplizierter vonstattengehen. Dafür wurde der Kinder-Kompass Mainz ins Leben gerufen. Die trägerübergreifende Anmeldeplattform bietet Vorteile für Eltern, Kitas und die Stadtverwaltung. mehr...
ITK Rheinland: Auf neuer Spur im Verkehrswesen
[04.11.2025] Die ITK Rheinland führt im Competence Center Verkehrswesen eine neue Software ein. In Mönchengladbach, Wesel, der Landeshauptstadt Düsseldorf, Bottrop, dem Rhein-Kreis Neuss und Kleve ist die Umstellung bereits abgeschlossen. mehr...
Leipzig: QR-Code als Hundemarke
[31.10.2025] Mit dem kommenden Jahr erhalten Hundehalter in Leipzig für jeden neu angemeldeten Hund den Nachweis über die Anmeldung in digitaler oder Papierform. Ein QR-Code dient dann als Hunderegistriermarke, die Blechmarken verlieren bis Ende 2026 ihre Gültigkeit. mehr...
Mainz: Online für den Wochenmarkt bewerben
[30.10.2025] In Mainz können Interessierte jetzt einen Onlinedienst nutzen, um Bewerbungen für Wochenmärkte zu erstellen und einzureichen. Die Stadt hat hierfür eine von Hamburg und dem Land Rheinland-Pfalz entwickelte EfA-Leistung bedarfsgerecht angepasst. mehr...
Registermodernisierung: Erster NOOTS-Use-Case besteht Abnahmetests
[23.10.2025] Der erste NOOTS-Use-Case hat alle Abnahmetests erfolgreich bestanden – ein wichtiger Schritt für die Registermodernisierung in Deutschland. Der Onlinedienst „Antrag auf Bewohnerparken“ wurde über den OZG-Hub erfolgreich getestet und soll im Dezember starten. mehr...
Kita-Lösungen: Weniger verwalten
[22.10.2025] Konnten Eltern bislang froh sein, überhaupt einen Betreuungsplatz für ihren Nachwuchs zu erhalten, verändert sich die Situation jetzt aufgrund der sinkenden Geburtenraten. Kita und Kindertagespflege werden künftig stärker konkurrieren. mehr...
AKDB/Komm.ONE: Kooperation im Ausländerwesen
[21.10.2025] Die IT-Dienstleister AKDB und Komm.ONE streben eine Zusammenarbeit im Bereich Ausländer- und Einbürgerungswesen an. Gemeinsam wollen sie eine zukunftsfähige und sichere Software bereitstellen, die sich innovativer Technologien wie Künstlicher Intelligenz bedient. mehr...
Nordrhein-Westfalen: Kommunen BIM-ready machen
[13.10.2025] Mit einer neuen Wissensplattform will das Land Nordrhein-Westfalen seine Kommunen bei der Einführung von Building Information Modeling (BIM) unterstützen. mehr...
Wiesbaden: Telefon der Friedhofsverwaltung schweigsamer
[13.10.2025] Statt im Minutentakt klingelt das Telefon in der Friedhofsverwaltung Wiesbaden nur noch selten. Möglich macht das die neue Bestatteranbindung der Lösung MACH FIM. mehr...
Tübingen: Sozialhilfe online beantragen
[10.10.2025] In Tübingen können Sozialhilfeanträge ab sofort digital eingereicht werden. Antragsteller werden Schritt für Schritt durch den entsprechenden Onlineantrag geführt. Erforderliche Unterlagen können sie als Datei hochladen. mehr...
Kiel: Im Bauwesen gut aufgestellt
[07.10.2025] Die Stadt Kiel hat den Online-Bauantrag gestartet. Sie war Pilotkommune des Landesprojekts zur Einführung des Antragsportals. Weitere Maßnahmen sollen die Effizienz im Bauwesen zusätzlich erhöhen. mehr...
Gütersloh: EfA-Leistung „Aufenthalt Digital“ eingeführt
[06.10.2025] Die Stadt Gütersloh stellt eine neue EfA-Leistung in ihrem Bürgerportal zur Verfügung: Mit „Aufenthalt Digital“ soll der Weg zum Aufenthaltstitel erleichtert werden. mehr...
Verkehrswesen: IT-Dienstleister bündeln Kräfte
[02.10.2025] Mit einer gemeinsamen Absichtserklärung (Letter of Intent) haben sechs führende kommunale IT-Dienstleister, darunter die AKDB, den Grundstein für eine weitreichende Kooperation im Verkehrswesen gelegt. Die öffentliche Bekanntgabe der Kooperation erfolgte auf der Smart Country Convention 2025 in Berlin. mehr...
Kita-Lösungen: Neue Kunden für Little Bird
[01.10.2025] Der Anbieter Little Bird hat neun neue Kommunen und Träger als Kunden gewonnen. Diese setzen auf ein digitales Familienportal sowie die Little-Bird-Software. mehr...
Sachsen: eWA gestartet
[30.09.2025] Die elektronische Wohnsitzanmeldung, die sich in zahlreichen Bundesländern bereits bewährt hat, ist nun auch in Sachsen gestartet. mehr...

















