Dienstag, 12. November 2024

Öffentlicher EinkaufDie Beschaffung der Zukunft

[16.09.2024] Um die öffentliche Beschaffung zu vereinfachen, wurde als EfA-Leistung das Lieferantencockpit entwickelt. Privatwirtschaftliche IT-Unternehmen und deren Verbände sehen sich nicht nur hier durch das EfA-Prinzip übergangen – etablierte Lösungen gäbe es längst.
Ein Tablet liegt auf dem Tisch, darüber eine Hand. Über dem Tablet schweben Symbole für die digitalen Einkauf, wie ein Einkaufswagen sowie Symbole für Cloud Computing und IT-Sicherheit.

Das Lieferantencockpit wirft grundsätzliche Fragen zur elektronischen Beschaffung auf.

(Bildquelle: 123RF.com)

Der Beschaffungsprozess im öffentlichen Sektor ist bisher nur wenig digitalisiert und zentralisiert. Für die liefernden Unternehmen sind die Prozesse daher oft mit hohem Aufwand verbunden. Aus diesem Grund hat das Land Bremen – beauftragt vom IT-Planungsrat – ein Lieferantencockpit entwickelt. Nicht als weiteres Katalog- oder Shopsystem, sondern als „Plattform, über die unterschiedliche angebundene Katalogsysteme per Schnittstelle adressiert werden können“, so das Benutzerhandbuch.

Im Cockpit sollen Lieferanten alle Rahmenverträge und die dazugehörigen Kataloge im Blick haben, die Kommunikation zwischen der Verwaltung und ihren Lieferanten soll vereinfacht werden. Die technische Umsetzung in Bremen übernahm der IT-Dienstleister Nortal, laut Eigendarstellung strategischer Partner in mehr als 100 digitalen Transformationsprojekten für Regierungen, Gesundheitseinrichtungen und Unternehmen weltweit. 

Das Vorhaben – mittlerweile unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) – ist eingefasst in das größere OZG-Umsetzungsprojekt Vergabe, zu dem weitere Onlinedienste gehören. Sie stehen Bund und Ländern auf dem govdigital-Marktplatz für Einer-für-Alle(EfA)-Leistungen über die FITKO, die Koordinierungs- und Vernetzungsstelle des IT-Planungsrats, zur Verfügung. Das EfA-Prinzip sagt aus: Um parallele Mehrfachentwicklungen zu vermeiden, werden einmal entwickelte IT-Produkte allen Bundesländern zur Nachnutzung bereitgestellt.

Bestehende Lösungen werden übergangen

Die Doppelarbeit sei jedoch schon längst im Gange, kritisiert Monika Schmidt, Aufsichtsratsvorsitzende des Procurementproviders TEK-Service. Schmidt sieht sich hierbei im Einklang mit weiteren deutschen Fachverfahrensanbietern, insbesondere KMU. „An deren Errungenschaften vorbei entwickeln Bund und Länder OZG-getrieben eigene Lösungen, die Millionenbeträge verschlingen und für Nutzerinnen und Nutzer keinen funktionalen Vorteil bringen“, erklärt sie. „Seit Jahrzehnten geleistete Entwicklungsarbeit hiesiger Unternehmen wird nicht nur übergangen, sondern auch zugunsten großer Beratungsunternehmen und US-Tech-Konzerne hinausgedrängt. Im Ministerium und bei der FITKO kennt man unsere Pionierarbeit. Trotzdem wurden wir stets geflissentlich ignoriert.“

Auch der Databund als Verband der mittelständischen IT-Dienstleister und Softwarehersteller kritisiert seit Langem die staatsfinanzierte Neuentwicklung von Lösungen, die bereits in der Privatwirtschaft bestehen. Vor allem im Bereich der EfA-Leistungen seien hunderte Millionen Euro für Lösungen ausgegeben worden, die es am Markt längst gab, wie Geschäftsführer Detlef Sander bemerkt. So würde aus den Steuern, welche die Unternehmen zahlen, Konkurrenzsoftware finanziert und die Privatwirtschaft verdrängt.

Ähnlich sieht es Patrick Häuser, Hauptstadtbüroleiter des Bundesverbands IT-Mittelstand (BITMi): „Angesichts des enormen Aufholbedarfs der deutschen Verwaltung bei der Digitalisierung müssen wir auf den deutschen Digitalmarkt in seiner ganzen Breite setzen. Wir haben bereits zahlreiche einsatzbereite Lösungen von deutschen IT-Unternehmen, um diese Riesenaufgabe zu bewältigen.“ Der Staat müsse daher konsequent auf offene Ausschreibungen setzen. „Wenn Bundesländer und Kommunen Aufträge für die Entwicklung neuer Lösungen am Markt vorbei an landeseigene Dienstleister vergeben, die dann teuer und zeitaufwändig entwickelt werden, wird die Verwaltungsdigitalisierung unnötig ausgebremst“, so Häuser.

Funktionale Kritik am EfA-Lieferantencockpit

Der stellvertretende Sprecher des Senats der Freien Hansestadt Bremen, Matthias Makosch, sagt, dass bei der Bremer Eigenentwicklung bestehende Katalogsysteme der Verwaltung via REST-Schnittstellen an das Portal angebunden werden könnten. Zur Frage, ob es bei der Entwicklung Überlegungen einer Zusammenarbeit mit bereits etablierten Softwarelösungen für Einkauf und Beschaffung gegeben hätte, erklärt er: „Nach unserem Kenntnisstand existierten zum Zeitpunkt der Konzeption und Entwicklung des Lieferantencockpits keine Softwarelösungen, die ähnliche Funktionalitäten anbieten und die Vision einer zentralen deutschlandweiten Lösung verfolgen.“

Das Lieferantencockpit erlaube eine einheitliche und medienbruchfreie Interaktion zwischen Lieferanten (Unternehmen) und der Verwaltung über eine zentrale, deutschlandweit nutzbare Plattform. Auch wenn die Einkaufsstellen unterschiedliche Katalogsysteme einsetzen, können Lieferanten mit der Verwaltung über ein zentrales Portal interagieren. Sie können sich auf Basis von ELSTER anmelden, Unternehmens- und Rahmenvertragsdaten mappen, Kataloge hochladen und pflegen, Beratungsanfragen entgegennehmen und Anderes.

Monika Schmidt hat auch funktionale Kritik an der EfA-Lösung. Sie bemängelt, dass Verwaltungen und Organisationen auf Kommunal- und Landesebene dort nicht mehr Eigentümer ihrer Katalogstammdaten seien. „Indem Lieferanten Katalogdaten gemäß Vergabezuschlag via ELSTER-Akkreditierung im BMEc@t- Format auf das Cockpit hochladen sollen, entrichtet die ausschreibende Verwaltung ab diesem Zeitpunkt Gebühren für die Nutzung der Katalogdaten ihrer eigenen Ausschreibung oder Vergabe.“

Außerdem sei bei einer solchen Lösung die Verknüpfung der Bereiche Einkauf, Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung notwendig (Purchase to pay), was hier nicht gegeben sei. „Das EfA-Prinzip praktizieren wir außerdem seit 25 Jahren“, betont Monika Schmidt. So haben sich viele TEK-Kunden zu Einkaufsgemeinschaften zusammengeschlossen, darunter kommunale Dachverbände in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mit ihren Kommunen. Auf Basis der Einkaufsdaten ihrer Kunden erzeugt TEK Leistungsverzeichnisse, die gebündelt und zur Ausschreibung herangezogen werden. Das führe zu Preisvorteilen für die Verwaltungen.

Ein neutraler Marktplatz als Digitalisierungsbeschleuniger

Deutsche Softwarehäuser würden hier im vollen Bewusstsein der Politik systematisch aus dem Markt gedrängt, so die Kritik aus der Privatwirtschaft. Detlef Sander kennt zahlreiche ähnliche Fälle aus dem Bereich der EfA-Leistungen: „Öffentliche Dienstleister erhalten für die Umsetzung einer EfA-Leistung teils das 20-fache Budget gegenüber den Entwicklungskosten der bereits am Markt bestehenden Lösung – eine Verschwendung von Steuergeldern, von der die privaten Unternehmen in den meisten Fällen nicht profitiert haben.“

Deshalb intervenierte der Databund auch beim govdigital-Marktplatz und entwickelte gemeinsam mit govdigital, FITKO und ProVitako ein Grobkonzept für einen neutralen Marktplatz der Zukunft (MdZ) unter Einbeziehung der Privatwirtschaft. Dieser wurde auf der letzten IT-Planungsratsitzung abgesegnet: Die FITKO erhielt den Auftrag, bis Anfang 2025 ein vollständiges Konzept zu entwickeln. Auf dem Marktplatz der Zukunft könnten öffentlich-rechtliche und Privatunternehmen gleichermaßen ihre Lösungen anbieten. Dies sei auch im Interesse der Kommunen, sagt Sander.

Ein weiteres Ziel des MdZ seien einheitliche Vergabeschwellen in Deutschland. Bei einem Auftragsvolumen unter 50.000 Euro soll eine freihändige Vergabe und bis zur EU-Vergabeschwelle eine Markterkundung mit drei Angeboten ausreichen. Ausschreibungen sollen erst bei darüber liegenden Volumina verpflichtend sein. Kommunen sollen so ad-hoc Lösungen beschaffen und austauschen können – unabhängig davon, ob diese von öffentlichen oder privaten Anbietern kommen.

Frank Zscheile ist IT-Journalist in München.




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