Sonntag, 19. Oktober 2025

EuropaDie Digitale Dekade

[18.08.2022] Die Welt rückt zusammen: Mit ihrer Digitalstrategie „Europas digitale Dekade“ zielt die EU darauf ab, die Freizügigkeit durch digitale Verwaltungsleistungen zu realisieren. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, ist aber noch einiges zu tun.
Die EU-Kommission verfolgt eine ambitionierte Digitalstrategie.

Die EU-Kommission verfolgt eine ambitionierte Digitalstrategie.

(Bildquelle: Grecaud Paul/stock.adobe.com)

Auf der Klaviatur des Föderalismus rangieren Europa und Kommunen an entgegengesetzten Enden. In Kommunen ist häufig die Ansicht verbreitet, einen denkbar großen Abstand zur Europäischen Union und ihren Institutionen einzunehmen. Tatsächlich jedoch gibt die EU-Kommission in vielen Bereichen längst den Takt vor, so auch bei Digitalisierung und E-Government. Das Ziel, eine Harmonisierung zwischen den Mitgliedsländern zu erreichen und den Bürgerinnen und Bürgern der EU die vier Grundfreiheiten (Waren, Personen, Dienstleistungen, Kapital) zu gewährleisten, bringt vielfältige gesetzgeberische Aktivitäten mit sich, welche die digitale Organisation des europäischen Binnenmarkts betreffen. Mit diesem verbindet sich das Versprechen nach Wachstum, Innovation und Arbeitsplätzen.
Die aktuellen Maßnahmen der EU-Kommission sind im März 2021 in einer Digitalstrategie mit dem Titel „Europas digitale Dekade“ vorgestellt worden und sollen bis 2030 gelten. Sie umfassen die digitale Gesellschaft, digitale Technologien und Infrastrukturen, die Digitalwirtschaft sowie Politik und internationale Kooperationen. Auch elektronische Behördendienste sind inbegriffen, denn sie erst ermöglichen den grenzübergreifenden Informationsaustausch und die Handlungsfähigkeit zwischen Behörden, Unternehmen und Bürgern. So wie sich Menschen im gesamten EU-Raum frei bewegen und arbeiten können, dürfen Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit in allen EU-Ländern frei ausüben. Von der Auftragsvergabe über Rechnungsstellung und Zahlungsdienste bis hin zu Sozialversicherungsdaten und Zoll sind viele unternehmerische Transaktionen gesetzgeberisch geregelt und elektronisch durchführbar.

Einheitliches digitales Zugangstor

Eine der weitreichendsten Brüsseler Vorgaben für Verwaltungen aller föderalen Ebenen in den EU-Ländern ist die Verordnung 2018/1724 zum Single Digital Gateway (SDG). Sie wurde im Jahr 2018 verabschiedet und zielt auf die Errichtung eines einheitlichen digitalen Zugangstors für Unternehmen und Bürger ab. Damit verpflichtet die EU die öffentlichen Verwaltungen dazu, die Verwaltungsdigitalisierung im eigenen Land voranzutreiben und nutzer­orientiert umzusetzen. In Deutschland sind vor allem das Online­zugangsgesetz (OZG) und das Projekt Registermodernisierung mit der Umsetzung dieser EU-Verordnung befasst. Erste Meilen­steine wurde bereits erreicht.
Der Fahrplan der SDG-Verordnung sieht vor, dass die Mitgliedsländer Informationen über Verwaltungsleistungen und so genannte Unterstützungsdienste, mit denen Bürgern und Unternehmen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte am europäischen Binnenmarkt geholfen wird, veröffentlichen. Hierfür steht das zentrale Europa-Portal „Your Europe“ bereit, das mit den Portalen der Mitgliedsstaaten verlinkt wird. In Deutschland ist 2021 eine Verknüpfung mit dem Verwaltungsportal des Bundes realisiert worden. Bislang wurden 23.000 auf FIM-Bausteinen basierende Informationsseiten sowie Metadaten an das Europa-Portal übermittelt.

Es hapert an den nötigen technischen Infrastrukturen

Für 2022 und 2023 steht die Integration von für den Single Digital Gateway relevanten Online-Diensten an. Zudem müssen Kommunen bis Ende 2022 Aufschluss geben über den Stand der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen. Bislang ist lediglich das Online-Verfahren BAföG-Digital direkt an das Europa-­Portal angeschlossen. Bis Ende 2023 sollen 21 der wichtigsten Verwaltungsverfahren aus den Lebensbereichen Geburt, Wohnsitz, Studium, Arbeit, Umzug, Ruhestand und Unternehmensgründung folgen und in allen Mitgliedsstaaten vollständig digital, grenzüberschreitend und medienbruchfrei abgerufen werden können. Darunter die Registrierung eines Kraftfahrzeugs, die Beantragung einer Europäischen Krankenversicherungskarte oder die Anmeldung von Pensionsansprüchen. Unternehmen sollen beispielsweise eine Geschäftstätigkeit anmelden, Beschäftigte registrieren und Körperschaftssteuern erklären können.
Ob dieses sportliche Ziel gelingt, ist ungewiss. Selbst im digitalen Österreich ist man von dieser He­rausforderung nicht positiv überzeugt. Längst nicht überall liegen die technischen Infrastrukturen vor, die den transeuropäischen Informationsaustausch ermöglichen. Zudem soll es dem Willen der EU-Kommission zufolge Bürgern und Unternehmen abgenommen werden, ihre Daten wiederholt eingeben zu müssen, um Verwaltungsdienste zu beanspruchen. Hierfür steht das Once-Only-Technical-System (OOTS) der EU zu Verfügung. In Deutschland hängt Once Only an der Modernisierung der verschiedenen Register, für deren Umsetzung noch rechtliche Schritte und technische Anpassungen erforderlich sind. Datensätze müssen homogenisiert, ihre automatische Abfrage und Weitergabe legitimiert werden. „Priorisierte Register“ sollen bei uns bis Ende 2025 in Angriff genommen werden. Insofern erscheint das Jahr 2030, das die EU als Zielpunkt ihrer Digitalstrategie etwa auch für die Nutzung elektronischer Ausweise vorgesehen hat, realistischer.

Bei der eID hat Deutschland die Nase vorn

Bei der elektronischen Identität hat Deutschland ausnahmsweise die Nase vorn. Seit 2010 ist die eID in unseren Personalausweisen integriert und nun auch verpflichtend freigeschaltet. Gegenwärtig wird in Brüssel eine Revision der eIDAS-Verordnung von 2014 vorbereitet, die weitere digitale Identitäten berücksichtigt. Geburtsurkunden, Meisterbrief, Doktortitel oder Segelschein sollen in einer einheitlichen Digital Identity Wallet gesammelt werden können. Auch das Nutzerkonto Bund entspricht bereits den europäischen Vorgaben. Um digitale Verwaltungsdienste zu beanspruchen, müssen Bürgerinnen und Bürger ein eigenes Nutzerkonto anlegen, mit dem sie sich in einem Verwaltungsportal identifizieren. Hier hat sich das seit 2019 bereitgestellte Nutzerkonto des Bundes, das schon von 100.000 Menschen genutzt wird, als Servicekonto etablieren können. Mit der BundID sollen einmal auch europäische Verwaltungsdienste in Anspruch genommen werden können.
Digitalisierung ist Vernetzung. So wie sich Menschen am heimischen Computer mit ihrem Bürgeramt vernetzen, um einen Anwohnerparkausweis zu beantragen, sollen sie künftig auch innerhalb der EU die digitalen Dienste nutzen können – eine sicherlich große Erleichterung auf dem Arbeitssektor und für Unternehmen. Mit ihrer „Digitalen Dekade“ will die EU den Abstand zwischen Bürgern und Institutionen verkleinern. Es soll keine Rolle mehr spielen, auf welcher föderalen Ebene man sich bewegt, um einen Verwaltungsvorgang zu erledigen. Mit den digitalen Impulsen rücken Europa und Kommunen näher aneinander.

Helmut Merschmann




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Mehrere Zahnräder liegen neben- und übereinander.
bericht

Digitalisierung: Zehn-Punkte-Plan von Vitako

[10.10.2025] Im Rahmen eines Zehn-Punkte-Plans hat die Bundes-Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister, Vitako, Vorschläge für eine gezielte Förderung der Digitalisierung erarbeitet. Als wichtiger Aspekt wird dabei die ebenenübergreifende Zusammenarbeit betont. mehr...

Foto von Bayerns Digitalminister Fabian Mehring
interview

Bayern: Täglich Vollgas geben

[09.10.2025] Bayerns Digitalminister Fabian Mehring spricht über die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz, eine proaktive Verwaltung und erläutert, warum der Freistaat bei der Verwaltungstransformation so erfolgreich ist. mehr...

Dr. Karsten Wildberger hält seine Keynote auf der Smart Country Convention 2025
bericht

BMDS: „Wir haben Wildwuchs entwickelt.“

[08.10.2025] Bundesdigitalminister Karsten Wildberger stellte auf der Smart Country Convention in Berlin die Modernisierungsagenda der Bundesregierung vor. Als deren dickstes Brett bezeichnete er die Verwaltungsdigitalisierung. mehr...

Bitkom: Digitalisierung vor Ort voranbringen

[29.09.2025] Mit Blick auf die anstehende Kabinettsklausur legt der Bitkom eine Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung vor. Sie fordert eine Föderalismusreform und verbindliche IT-Standards, um Bund und Kommunen zu engerer Zusammenarbeit bei der Verwaltungsdigitalisierung zu verpflichten. mehr...

ie Akteure stellen auf einer Pressekonferenz die Initiative (Neu)Start KfZ vor.
bericht

Initiative: Dresdner Forderungen 2.0

[25.09.2025] Die Initiative (Neu)Start KfZ soll der Umsetzung der Dresdner Forderungen zum Durchbruch verhelfen. Konkret gefordert wird, Leistungen wie die KfZ-Zulassung künftig in Vollzugszentren zu bündeln. Die Kommunen würde das spürbar entlasten. mehr...

Rathaus Stadt Wiesbaden

Wiesbaden: Pilot bei Digitalisierungsoffensive

[25.09.2025] Bei der neuen Digitalisierungsoffensive von Bund und Land Hessen fungiert die Landeshauptstadt Wiesbaden als Pilotkommune. In Workshops vor Ort sollen konkrete Kriterien erarbeitet werden, die einen schnelleren Roll-out digitaler Leistungen ermöglichen. mehr...

Handschüttel-Foto

Bund/Bayern: Startschuss für Digitalkooperation

[25.09.2025] Wie in Hessen startet auch in sechs bayerischen Pilotkommunen eine neue Digitalkooperation zwischen Bund und Land. Ziel ist es, eine bayern- und bundesweit nutzbare Blaupause zu entwickeln, um OZG-Leistungen schneller in die Fläche zu bringen. mehr...

Hessen peilt die digitale Verwaltung 4.0 an.

Bund/Hessen: Digitalisierungsoffensive in Kommunen

[22.09.2025] Im Rahmen der OZG-Umsetzung wurden zahlreiche föderale Verwaltungsleistungen digitalisiert – die Einführung in den Kommunen stockt aber. Der Bund und das Land Hessen wollen nun ein praxistaugliches Modell entwickeln, das den flächendeckenden Roll-out beschleunigt. mehr...

Auf einer Europakarte sind die Mitgliedstaaten mit der entsprechenden Landesflagge markiert.
bericht

eGovernment Benchmark: Blick über die Grenzen

[19.09.2025] Deutschland kann hinsichtlich der Digitalisierung einiges von seinen europäischen Nachbarn lernen – etwa was die Transparenz digitaler Services oder die Nutzung der eID angeht. Das zeigt der aktuelle eGovernment Benchmark der Europäischen Kommission. mehr...

Porträtaufnahme von Kristina Sinemus.
interview

Hessen: Bei OZG-Umsetzung führend

[11.09.2025] Hessens Digitalministerin Kristina Sinemus erläutert, wie das Bundesland bei der OZG-Umsetzung vorgegangen ist und warum bundesweit stärker auf Synergien, Schnittstellen und standardisierte Lösungen gesetzt werden sollte. mehr...

Torsten Ringling, Bürgermeister der Gemeinde Schkopau, spricht bei den Merseburger Digitaltagen.

Merseburger Erklärung 2025: Verwaltung gemeinsam gestalten

[08.09.2025] Wie Sachsen-Anhalt die Kommunen bei der Digitalisierung noch besser unterstützen könnte, ist in der Merseburger Erklärung festgehalten. Sie wurde im Rahmen der Merseburger Digitaltage 2025 verabschiedet und umfasst sieben Forderungen. mehr...

Eine Hand setzt einen Baustein in ein Diagramm ein, das den Fortschritt von Analog zu Digital angibt.
bericht

Digitalisierung: Bleibt die Analogverwaltung?

[03.09.2025] Allen Digitalisierungsbemühungen zum Trotz ist die Analogverwaltung noch voll im Einsatz und funktioniert. Ob sich das jemals vollkommen ändern wird, ist ungewiss – auch im rechtlichen Kontext. mehr...

Händedruck in perspektivischer Ansicht, Vertrag mit Unterschrift, Liste der Bedingungen in Dialogfeldform, Ziel und Pfeil nach oben - Vektorgrafik.

Landkreistag Baden-Württemberg: Digitalisierungskodex 2.0

[18.08.2025] Mit dem Digitalisierungskodex 2.0 setzt der Landkreistag Baden-Württemberg erneut Standards für die digitale Zukunft der Landkreise. Das Dokument umfasst zwölf Leitlinien für einheitliche digitale Prozesse, mehr Datensouveränität und einen besseren Bürgerservice. mehr...

Logo Netzwerk Junge Bürgermeister*innen

Staatsmodernisierung: Blick in den Maschinenraum fehlt

[17.07.2025] In einer Stellungnahme zum Abschlussbericht der Initiative für einen handlungsfähigen Staat kritisiert das Netzwerk Junge Bürgermeister*innen, dass kommunale Realitäten in den Vorschlägen nicht genügend berücksichtigt werden. Es fehle an Lösungen für die Praxis – etwa bei Personal, Finanzierung oder Führung. mehr...

Personen auf einer Bühne, im Vordergrund sieht man Sitzreihen mit Publikum.

Abschlussbericht: Wie kann die Staatsreform gelingen?

[17.07.2025] Die Initiative für einen handlungsfähigen Staat hat ihren Abschlussbericht an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übergeben. Viele ihrer Vorschläge finden sich im Koalitionsvertrag wieder. Die Initiatoren fordern nun eine zügige Umsetzung – auch durch neue Wege wie Modellkommunen. mehr...