Mittwoch, 10. September 2025

E-PartizipationDen Worten Taten folgen lassen

[05.09.2022] Kommunen setzen auf Online-Beteiligungsinstrumente, um eine größere Nähe zu ihren Bürgern herzustellen und neue Ideen zu sammeln. Während viele bereits Leitlinien für die Partizipation formuliert haben, ist die strukturierte Bürgerbeteiligung noch die Ausnahme.
Es gibt viele Wege

Es gibt viele Wege, Bürger in Entscheidungsprozesse einzubinden.

(Bildquelle: Fokussiert/stock.adobe.com)

In Berlin sollen im kommenden Jahr zwei Modellprojekte starten, die auf eine „Reduktion des motorisierten Individualverkehrs in Wohnbereichen“ abzielen. „Durch die Abordnung aller öffentlichen Parkplätze sowie die anwohnerfreundliche Nutzung und Umgestaltung des öffentlichen Raums“ sollen in Kreuzberg und in Berlin-Mitte, „hochverdichteten Gründerzeitquartieren“, für ein Jahr alle Parkplätze verschwinden. Die Anwohnerparkausweise werden ungültig und stattdessen Spielstraßen eingerichtet. Als Begründung wird eine „resiliente Klimapolitik“ angeführt. Ein so vehementer Eingriff in Leben und Alltag von Anwohnern, die dann ihre Autos außerhalb der geplanten Parkverbotszone abstellen müssten, böte den perfekten Anlass für eine Bürgerbeteiligung, die aber nicht vorgesehen ist. „Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen“, heißt es im Leitantrag.
Eine formelle Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern ist in Deutschland vor allem im Bau- und Planungsrecht vorgesehen. Die Pläne für Bauvorhaben müssen ausgelegt werden, und die Bürger können Einwände und Vorschläge formulieren, ohne dass sich daraus verpflichtende Konsequenzen für die Umsetzung ergäben. Nichtsdestotrotz finden im kommunalen Bereich auch zu anderen Themen immer häufiger informelle Beteiligungsverfahren statt, die von öffentlichen Stellen oder durch den Impuls der Bürger ins Leben gerufen werden. Schon 2013 stellte der Deutsche Städtetag fest, dass die repräsentative Demokratie und direktdemokratische Formen der Beteiligung als gemeinsame Elemente einer lebendigen lokalen Demokratie zu verstehen seien und die Legitimität von öffentlichen Vorhaben steigern könnten.

Partizipationsbedürfnis hat sich verändert

Im Sinne einer „Gestaltung des Gemeinsamen“ lassen also immer mehr Kommunen ihre Bürgerinnen und Bürger an den Entwicklungsprozessen teilhaben und entwickeln auch Leitlinien für die Partizipation. Das Netzwerk Bürgerbeteiligung hat eine Liste aller Kommunen zusammengestellt, die solche Leitlinien vorweisen. In Mannheim ist man bereits einen Schritt weiter und hat im Jahr 2019 die Bürgerbeteiligung formalisiert sowie zu einem Teil der kommunalen Strategie und des eigenen Leitbilds erhoben. Ein 35-seitiges Regelwerk beschreibt diese so genannte strukturierte Bürgerbeteiligung. Das Regelwerk „soll die Qualität der Bürgerbeteiligung in Mannheim sichern und weiterentwickeln. Hierzu definiert es sowohl Ziele als auch Qualitätsstandards und regelt Verantwortlichkeiten und Angebote der Bürgerbeteiligung bei städtischen Vorhaben“, heißt es in der Präambel.
In Zeiten gesellschaftlicher Transformation, nicht zuletzt durch die Digitalisierung, hat sich das Bedürfnis nach Mitsprache und Partizipation verändert. Kommunen können sich solchen diskursiven Ansprüchen nicht entziehen – und sei es nur, um „ein Ohr an der Bevölkerung zu haben“ und die Stimmung in der Gesellschaft besser zu verstehen, wie Eileen O’Sullivan, Digitalisierungs- und Teilhabe-Dezernentin in Frankfurt am Main, es beschreibt (siehe Interview Seite 42). Bisweilen werden Politik und Verwaltung von den Ereignissen überrollt: Den gültigen Volksentscheid zum Tempelhofer Feld in Berlin, einem ehemaligen Flughafengelände, der auf Jahre oder Jahrzehnte eine 300 Hektar große innerstädtische Fläche der Stadtplanung entzieht, hat 2014 zumindest niemand vorhergesehen.

Vertrauen in die Politik zurückerlangen

Bürgerdialog, Bürgerforum, Bürgerrat, Ideenwettbewerb, Petition, Konsultation, Referendum, Volksabstimmung, Volksentscheid – es gibt viele Formen und Formate, um Bürgerinnen und Bürger formell oder informell in Entscheidungsprozesse einzubinden. Die Beteiligungsverfahren tragen in den Bundesländern unterschiedliche Namen und weisen unterschiedliche Vo­raussetzungen auf, weswegen im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) ein Digitalisierungslabor sich an einer Vereinheitlichung versucht hat. Das hat bislang nicht funktioniert. Dafür sind einzelne Länder und Kommunen inzwischen mit eigenen Beteiligungsportalen an den Start gegangen. In Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Baden-Württemberg, Stuttgart oder Potsdam ist das bereits geschehen. Bürgerinnen und Bürger können sich etwa beim Stuttgarter Strategiedialog Landwirtschaft, bei einer Informationsveranstaltung zur Eröffnung der Justizvollzugsanstalt Zwickau oder bei einer Online-Befragung zum integrierten Klimaschutzkonzept für die Gemeinde Eitorf einbringen und ihre Ideen und Vorschläge platzieren.
Im Juni dieses Jahres ist in Nordrhein-Westfalen ein achtjähriges Forschungskolleg zum Thema Online-Partizipation zu Ende gegangen. Nicht erst seit der Corona-Pandemie verspricht die Idee der Online-Partizipation, die Beteiligung der Bürger am politischen Prozess zu fördern, mehr Transparenz in politische Entscheidungsprozesse zu bringen und dadurch die Legitimität zu erhöhen und verloren gegangenes Vertrauen in die Politik zurückzuerlangen. Auch der Teilnehmerkreis bei Beteiligungsangeboten lässt sich durch eine orts- und zeitungebundene Online-Interaktion vergrößern.

Gute Kommunikation als Erfolgsfaktor

Aus dem Projekt ist ein ganzer Baukasten mit digitalen Modulen für Beteiligungsplattformen hervorgegangen. Dort finden sich Mängelmelder für Kommunen samt Anliegen-Management-System und Rückmeldungsfunktion. Mit dem Modul Bürgerbefragung lässt sich die Stimmungslage in der Bevölkerung praxisnah erkennen und möglichen Konflikten frühzeitig begegnen. Auch der Bürgerhaushalt, der die Menschen in die kommunale Haushaltsplanung einbezieht, kann dazu dienen, ein besseres Verständnis beispielsweise für Sparzwänge hervorzubringen. Weitere Online-Beteiligungsformate sind Vorhabenlisten und Ideenwettbewerbe, gezielte Abstimmungen, interaktive Karten zur ortsbezogenen Erhebung (Crowdmapping) oder moderierte Online-Dialoge. Anbieter wie Ontopica oder wer denkt was haben ganze Beteiligungsplattformen im Angebot.
Um mit der Online-Partizipation erfolgreich zu sein, erscheint es wichtig, dass die Mitmach-Plattformen ansprechend, übersichtlich und transparent aufgebaut sind. Der Ablauf der Bürgerbeteiligung, Termine, Verhaltensregeln und Beteiligungsmöglichkeiten müssen eindeutig und verständlich erklärt sein. Ebenso relevant ist es, dass die Ergebnisse jeder Beteiligungsphase öffentlich dokumentiert werden. Gute Kommunikation gilt als Erfolgsfaktor. Am wichtigsten aber ist es, den Beteiligungsangeboten auch Taten folgen zu lassen. Aus den Ergebnissen einer Online-Partizipation leiten sich zwingend Konsequenzen für die Umsetzung ab: Die Bürgerinnen und Bürger müssen ernst genommen werden. Entweder, indem den ausgewählten Vorschlägen gefolgt wird, oder, indem gut begründet und kommuniziert wird, warum Vorschläge nicht berücksichtigt werden können. Sonst wäre Partizipation ein Alibi.

Helmut Merschmann




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