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[28.02.2017] Marian Schreier ist Deutschlands jüngster hauptamtlicher Bürgermeister. Kommune21 sprach mit dem Stadtoberhaupt von Tengen über den Einsatz sozialer Medien im Wahlkampf und die Bedeutung der Digitalisierung für eine ländliche Gemeinde.
Marian Schreier

Marian Schreier, Bürgermeister von Tengen.

(Bildquelle: K21 media AG)

Herr Bürgermeister Schreier, vor knapp zwei Jahren sind Sie im Alter von 25 Jahren als jüngster hauptamtlicher Bürgermeister Deutschlands gewählt worden. Was hat Sie motiviert, in jungen Jahren ein solches Amt anzustreben?

Ich bin spontan zur Kandidatur gekommen. Ein Studienfreund machte mich darauf aufmerksam, dass das Bürgermeisteramt in Tengen nach 42 Jahren wieder frei wird. Ich kannte die Region und beschloss, zu kandidieren. Mich hat vor allem die große Vielfalt an Themen gereizt. Als Bürgermeister kümmert man sich um die wirtschaftliche Enwicklung der Kommune, den Tourismus oder die Digitalisierung der Verwaltung. Der Gestaltungsspielraum ist groß und die lange Amtszeit von acht Jahren erlaubt es, seine Vorstellungen ohne Zeitdruck und mit Weitblick umzusetzen.

Wie sind Sie denn angekommen bei Verwaltung und Rat?

Ich wurde in der Anfangszeit sehr durch die Verwaltung unterstützt. Auch im Gemeinderat habe ich ein konstruktives Klima vorgefunden. Das gilt auch für den Bürgermeisterkreis oder das Verhältnis zum Landrat. Es hat sich gezeigt: Wenn man sich gut vorbereitet und kompetent auftritt, wird man schnell ernst genommen.

Sie wurden überraschend und mit dem furiosen Ergebnis von 71 Prozent der Stimmen gewählt. Der Grund sei, so hieß es, dass Sie auch Social-Media-Kanäle professionell genutzt haben. Wie ist ihre Einschätzung?

Soziale Medien haben im Wahlkampf in der Tat eine Rolle gespielt. Zwei Bausteine waren für meinen Wahlkampf entscheidend. Einerseits der klassische Wahlkampf mit Hausbesuchen, Veranstaltungen, Kandidatenvorstellungen sowie Medien wie Flyer oder Plakate. Aber auch in einer kleinen Landgemeinde wie Tengen spielt das Internet eine Rolle, insbesondere bei den 16- bis 35-Jährigen. In dieser Gruppe habe ich durch die sozialen Medien eine hohe Mobilisierung erreicht. Dazu beigetragen hat auch eine Veranstaltung für die unter 35-Jährigen, die ich über eine Facebook-Gruppe eingeladen habe. Junge Menschen sind über klassische Medien wie Zeitungen kaum mehr erreichbar, ich hätte den Zugang zu ihnen ohne Facebook nicht erhalten.

Auch die Wahlbeteiligung lag mit 70 Prozent überraschend hoch. Wie schätzen Sie das Mobilisierungspotenzial sozialer Medien in Kommunalwahlkämpfen ein?

Wie erwähnt, hat sich gezeigt, dass mit sozialen Medien die Jungwähler erreicht werden können. Gerade bei Kommunalwahlen gilt die jüngere Generation gemeinhin als mobilisierungsresistent. Um diese Wähler zur erreichen, braucht man digitale Medien. Zur Zeit meines Wahlkampfs war dies Facebook, heute, würde ich sagen, ist WhatsApp der wichtigere Kanal, insbesondere für die unter 25-Jährigen.

Welche Social-Media-Strategie empfehlen Sie den kommunalen Wahlkämpfern?

Am wichtigsten ist es, authentisch zu bleiben. Wenn der persönliche Zugang zu diesen Medien fehlt, sollte ersichtlich sein, dass entsprechende Auftritte von anderen betreut werden. Der Kandidat sollte sich also nicht verstellen und plötzlich Selfies veröffentlichen. Ohne einen persönlichen und nachvollziehbaren Zugang wirken auch soziale Medien nicht. Meine Generation, die mit digitalen Medien aufgewachsen ist, tut sich hier natürlich leichter.

Welche Rolle spielen soziale Medien heute für Sie als Bürgermeister?

Ich nutze soziale Medien weiter als Kommunikationsmedium. Ich berichte über meine Arbeit als Bürgermeister und erhalte auch regelmäßig Rückmeldungen. Unser städtischer Facebook-Auftritt ist allerdings noch ausbaufähig – wie so häufig ist dies eine Frage der zeitlichen Ressourcen innerhalb der Verwaltung.

Die Parteien haben im Internet zu lange auf das Sender-/Empfänger-Schema gesetzt.

Viele Analysten sind überzeugt, dass soziale Medien auch bei den Präsidentschaftswahlen in den USA den Ausschlag gaben. Wie sehen Sie das?

Schon in den vergangenen Wahlkämpfen in den USA spielte das Internet eine wichtige Rolle. In den Vorwahlen 2004 wurde auf Mailing-Listen gesetzt, 2008 hat Barack Obama systematisch Facebook und 2012 auch Twitter genutzt. Was die jetzige Wahl unterscheidet ist, dass eine hohe Mobilisierung von Wählern an den Rändern des politischen Spektrums erreicht wurde. Nicht nur Donald Trump, auch Bernie Sanders genoss bei den Vorwahlen einen sehr hohen Zuspruch in den sozialen Netzwerken. Hier wurde ein grundsätzliches Problem der sozialen Medien sichtbar. Der Algorithmus von Facebook ist so aufgebaut, dass vor allem eigene Meinungen verstärkt werden. Die Amerikaner sprechen hier von einer Echokammer, in der sich die Nutzer befinden und in der ihre Weltsicht bestätigt wird. Das ist für den demokratischen Diskurs ein Problem. Die Menschen werden kaum mehr mit widerstreitenden Meinungen konfrontiert. Zudem kommen Chatbots zum Einsatz, die automatische Meinungen generieren. Es wird spannend sein, ob wir im Bundestagswahlkampf 2017 eine ähnliche Entwicklung erleben werden.

Wie müssen sich die etablierten Parteien künftig in den sozialen Netzwerken aufstellen?

Die Parteien haben im Internet zu lange auf das herkömmliche Sender-/Empfänger-Schema gesetzt. Das bietet aber wenig Mehrwert für die Bürger. Sie müssen nun stärker auf Interaktion setzen. Und sie müssen sich damit beschäftigen, wie sie mit Bürgern umgehen, die ihre Informationen hauptsächlich aus sozialen Medien beziehen und mittlerweile in ihrer eigenen Realität leben. Denn ohne allgemein akzeptierte Faktenbasis wird eine demokratische Auseinandersetzung schwierig. Wie damit umgegangen werden muss, darauf gibt es meines Erachtens noch keine schlüssige Antwort.

Was können die Kommunen tun, um radikale Meinungen einzufangen?

Viele Menschen haben den Eindruck, dass die Politik sie vergessen hat und zu wenig für sie tut. Dies beginnt mit der Einschätzung, dass Politik und Bürger nicht mehr die gleiche Sprache sprechen. Diese Wahrnehmung ist in Teilen auch nicht falsch. Auf kommunaler Ebene kann man vor Ort zeigen, wie man Probleme löst. Allerdings haben sich Kräfte entwickelt, die sich gegen alles stellen, was den Anschein des Etablierten hat. Diese Menschen glauben nicht mehr, dass es für sie etwas bringt, wenn sie im jetzigen System mitmachen.

Tengen ist mit 4.500 Einwohnern eine kleine und zergliederte Gemeinde. Welche Rolle spielt die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen aus Ihrer Sicht für den ländlichen Raum?

Die Digitalisierung kann positive Effekte für den ländlichen Raum bringen. Wir sind eine Flächengemeinde mit knapp 62 Quadratkilometern und neun Teilorten. Für jede Verwaltungsdienstleistung müssen die Bürger ins Rathaus nach Tengen fahren. Es wäre eine große Erleichterung, wenn wir die wesentlichen Dienste online anbieten könnten. Wir haben in diesem Jahr ein digitales Beschwerde-Management eingeführt. Die Bürger können darüber auf Mängel im öffentlichen Raum aufmerksam machen und ihre Anregungen in die Kommunalpolitik einspeisen. Der nächste Schritt muss aber sein, Dienstleistungen wie die einfache Meldebestätigung oder die Gewerbeanmeldung zu digitalisieren. Uns wäre viel geholfen, wenn die fünf oder zehn wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert angeboten werden könnten. Dafür sind wir aber auf den Gesetzgeber und die kommunalen Rechenzentren angewiesen. Beispielsweise müssten noch zahlreiche Formerfordernisse abgeschafft werden, die es verhindern, dass bestimmte Leistungen digital angeboten werden können.

Gibt es über den Mängelmelder hinaus noch weitere E-Government-Angebote in Tengen?

Im Bereich Information ist unsere Website an das Portal service-bw angebunden, nach und nach digitalisieren wir die wichtigsten Dokumente des Ortsrechts. Wir haben den Haushaltsplan online gestellt und werden alle wesentlichen Satzungen digital anbieten. Ein elektronisches Ratsinformationssystem erleichtert den Gemeinderäten die Arbeit. Im Rat funktioniert das sehr gut, nun soll das System auch den Bürgern zugänglich gemacht werden.

Was planen Sie noch, gibt es eine digitale Agenda für Tengen?

Das Wichtigste ist zunächst die Breitband-Versorgung. Wenn in den Ortsteilen kein schnelles Internet verfügbar ist, nützen auch die besten Online-Angebote nichts. Ich erlebe das sogar bei Bauplatzverkäufen. Nach dem Preis gibt es noch zwei Fragen: Wie sieht es mit der Kinderbetreuung aus und wie mit schnellem Internet? Wir erarbeiten deshalb gemeinsam mit der Nachbargemeinde Hilzingen eine Breitband-Konzeption und werden einen Förderantrag stellen. Wir wollen ein kommunales Glasfasernetz für alle Haushalte bauen, das dann zum Betrieb ausgeschrieben wird. Auch die städtische Website wird neu gestaltet. In der Verwaltung führen wir nächstes Jahr ein Dokumenten-Management-System ein und gehen damit in Richtung elektronische Akte. Im Bauhof prüfen wir ein elektronisches Aufgaben-Management. Dazu erstellt die Hochschule Technik, Wirtschaft und Gestaltung Konstanz eine Machbarkeitsstudie, wie ein solches digitales System aussehen kann. Perspektivisch soll es dabei auch um die Verknüpfung von Sensorik und Bauhof-Arbeit gehen. Zum Beispiel im Winterdienst: Unser Bauhofleiter steht morgens um vier Uhr auf und schaut, ob Schnee liegt. Mit entsprechenden Sensoren wüssten wir genauer, wo geräumt werden muss und könnten die Einsätze besser koordinieren.

Interview: Alexander Schaeff




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