Samstag, 14. Dezember 2024

IT-InnovatorenVon der Bühne aufs Amt

[29.08.2012] Seit gut zehn Jahren gestaltet Karin Engelhardt die E-Government-Projekte der fränkischen Stadt Coburg. 2011 ist die Online-Managerin, die vom Theater über die Wirtschaft in die Verwaltung kam, für ihr Engagement zum Einsatz neuer Medien ausgezeichnet worden.
Karin Engelhardt

Karin Engelhardt

Karin Engelhardt ist Online-Managerin der Stadt Coburg

(Bildquelle: K21 media AG)

Die Online-Managerin der Stadt Coburg ist eine Exotin – und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen ist die gebürtige Österreicherin eine der wenigen Frauen im E-Government und zum anderen ist ihre äußere Erscheinung außergewöhnlich. „Meine roten Haare habe ich schon immer und sie gefallen mir. Allerdings falle ich damit auf, auch wenn ich noch nie das Gefühl hatte, dass ich deswegen schräg angeschaut werde“, sagt Karin Engelhardt. Exotisch ist auch ihr Berufsweg. In Graz geboren, studiert Engelhardt in Wien Mode-, Bekleidungs- und Textiltechnik sowie Bühnen- und Kostümbild und arbeitet anschließend am Theater. Durch ein Engagement am Landestheater Coburg kommt sie in den 1990er-Jahren in die idyllisch gelegene, fränkische Stadt. „Es war eine große Umstellung, von der österreichischen Hauptstadt in dieses Städtchen zu kommen, und ich wollte auch unbedingt nach zwei Jahren wieder weg.“ Doch dann lernt Karin Engelhardt ihren Mann kennen und schult auf Mediendesign um, weil eine Karriere im Bereich Bühnen- und Kostümbild bedeutet hätte, alle zwei Jahre das Theater zu wechseln. Nach der Weiterbildung in Berlin kommt sie wieder ins beschauliche Coburg, das ihr mittlerweile sehr ans Herz gewachsen ist, und fängt bei der Online-Stellenbörse Job­Scout24 als Projektmanagerin an. Hier sitzt sie an der Schnittstelle von Produktentwicklung, Marketing und IT – eine Erfahrung, die ihr heute noch zugutekommt.

Durch eine andere Brille

Im Jahr 2001 liest Karin Engelhardt auf dem Job-Portal die Stellenanzeige der Stadt Coburg und bewirbt sich. Sie erzählt: „Ich fand es interessant, dass eine Stadtverwaltung einen Online-Manager sucht. Denn das war zu dieser Zeit relativ ungewöhnlich.“ Gereizt hat sie auch, dass keiner so recht wusste, wie das digitale Rathaus mit Leben gefüllt werden könnte. Die Verwaltungsspitze hatte zwar erkannt, dass sie jemanden für diesen Bereich einstellen sollte, konkrete Vorstellungen vom Aufgabenbereich gab es jedoch nicht. Bei der Ausgestaltung ihrer Stelle hatte Karin Engelhardt also relativ freie Hand. „Der Vorteil war, dass ich von außen kam und deshalb eine ganz andere Sicht auf die Dinge hatte“, erzählt sie. Am Anfang musste erst einmal eine „gescheite“ Internet-Seite entwickelt werden. Es folgten Intranet und Web 2.0, wo sie ziemlich früh ins Thema eingestiegen ist. „Mein Job ist es, herauszufinden, was für unser Städtchen passt. Coburg hat 42.000 Einwohner, das heißt, auch wenn ich Projekte reizvoll finde, muss ich überlegen, ob sie für uns sinnvoll sind“, erläutert Engelhardt. Bei der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie sei beispielsweise ein Ansatz gewählt worden, von dem auch der Bürger profitiere und nicht nur der spanische Friseur.
Der Nutzen ist der Online-Managerin bei allen Projekten wichtig. Er ist jedoch für jede Zielgruppe separat herauszustellen. Engelhardt: „Vielleicht ist für die Überlegungen, welche Rolle jemand im Ensemble spielt und wie ihm der Nutzen näher gebracht werden kann, mein Theaterhintergrund ganz hilfreich.“ Denn der Stadtrat habe logischerweise eine andere Sichtweise als die Mitarbeiterin im Bürgerbüro. „Deshalb muss ich immer wieder eine andere Brille aufsetzen und unterschiedliche Blickwinkel einnehmen.“ Zum Erfolg – beispielsweise der Online-Börsen – trage auch bei, dass die Anwender in die Entwicklung einbezogen werden. Diese Vorgehensweise sorge dafür, dass die Angebote auch angenommen werden.

Nachahmer statt Geld

Abgesehen von der immer wieder angeführten mangelnden Akzeptanz, der Coburg durch Nutzerorientierung begegnet, macht die Online-Managerin noch ein weiteres Hemmnis für den Erfolg von E-Government aus: die heterogene Welt der Fachverfahren. Coburg baut momentan einen elektronischen Workflow auf. Dabei sind die Hersteller des Dokumenten-Management-Systems, des Finanzverfahrens und der digitalen Signatur involviert. „Wir arbeiten seit drei Jahren an dem Projekt. Die größten Hindernisse sind die Schnittstellen“, beschreibt Engelhardt ihre Erfahrungen. „Wir müssen viel ausprobieren und die beteiligten Unternehmen müssen sehr eng zusammenarbeiten. Die digitale Rechnung ist aber auf einem guten Weg“, meint die Online-Managerin. Aufgrund der gegenwärtigen Haushaltssituation mussten viele Projekte – insbesondere die Pilotprojekte – zurückgestellt werden. „Momentan schreiben wir am zweiten E-Government-Masterplan“, erklärt Engelhardt. „Den ersten, der vor sechs Jahren erstellt wurde, haben wir mit dem Aufbau der Basiskomponenten gut umgesetzt.“ Beim zweiten wird auf bestehende Werkzeuge wie CMS, workflowbasiertes Intranet, DMS und Formular-Server zurückgegriffen. „Es gilt, das, was da ist, optimal zu nutzen, das Beste rauszuholen, um die Verwaltung voranzubringen.“ Unzufrieden ist Engelhardt deshalb aber keineswegs: „Wenn geringere Mittel zur Verfügung stehen, muss man kreativ sein, Ideen haben, noch genauer überlegen und planen. Eine reizvolle Aufgabe, die die Gehirnzellen anregt.“ So wünscht sie sich für die Zukunft auch nicht mehr Geld, sondern Nachahmer und Multiplikatoren für die vielen guten Pilotprojekte in deutschen Kommunen. Sie sagt: „Man sollte überlegen, wie die Energie, die in diese Projekte geflossen ist, weiterverwendet werden kann.“

Open Government Heroine

In diese Richtung weisen auch Open Government und Web 2.0. Themen, mit denen sich Karin Engelhardt schon früh auseinandergesetzt hat, was ihr im vergangenen Jahr die Auszeichnung als Open Government Hero einbrachte (wir berichteten). Insgesamt waren elf so genannte Change Agents nominiert, die durch ihr persönliches Engagement zur Öffnung der Verwaltung und zum Einsatz neuer Medien für die Kommunikation zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung beitragen. „Change Agents haben Visionen, von denen sie sich nicht abbringen lassen, auch wenn es nur schrittweise vorangeht“, erzählt Engelhardt. Kreativität, Geduld, ein offener Geist und Flexibilität seien ebenfalls wichtig. Flexibilität auch deshalb, weil die Entwicklungen im IT-Bereich nicht vorhersehbar sind. So hätte man sich beispielsweise vor zehn Jahren nicht vorstellen können, welche grundlegenden Veränderungen das Web 2.0 der Verwaltung bringen wird. Entsprechend hat sich auch das Aufgabenfeld der Online-Managerin immer wieder verändert. „Das Reizvolle an meinem Job ist, dass man nicht weiß, wie er sich entwickelt“, meint Engelhardt.

Kreativer Ausgleich

Der zunehmenden Bedeutung ihrer Stelle innerhalb der Verwaltung wurde dadurch Rechnung getragen, dass aus der einstigen Stabsstelle im Hauptamt eine eigene Abteilung wurde und Karin Engelhardt die Aufgaben heute nicht mehr alleine erledigt. Zu ihrem Team zählen ihre Assistentin, eine weitere Verwaltungsmitarbeiterin und eine Auszubildende im Bereich Mediendesign. Ihr selbst bleibt dadurch mehr Zeit für die strategische Koordination an der Schnittstelle mehrerer Abteilungen. Sie muss sowohl die technische Umsetzung als auch die Vermarktung im Blick haben und immer wieder neue Ideen entwickeln. Aber gerade das macht ihr Spaß. Schließlich ist sie auch in ihrer Freizeit kreativ. Unter einem eigenen Label stellt Karin Engelhardt Handtaschen aus Stoff und Leder her. „Das gibt mir grundsätzlich den Ausgleich. Momentan kommen die Taschen aber ein bisschen zu kurz, da wir ein denkmalgeschütztes Haus von 1870 in der Innenstadt gekauft haben, das wir renovieren“, erzählt sie. Neben der eigenen Wohnung entstehen sechs Mietwohnungen, die nicht nur saniert, sondern auch möbliert werden. Engelhardt: „Die Ideen hierzu stammen von mir und meinem Mann, der ursprünglich aus dem Modedesign kommt. Wir haben beide Spaß am Kreativen und wollten das alte Haus wieder zum Leben erwecken.“ Damit hat sich die gebürtige Grazerin endgültig in ihrer Wahlheimat eingerichtet, in der sie schon längst nicht mehr als Exotin gesehen wird.

Alexandra Reiter




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