DigitalisierungBleibt die Analogverwaltung?

Ist Digital only möglich oder bleibt das Analoge bestehen?
(Bildquelle: stock.adobe.com/Cagkan)
In Hessen ist es kürzlich im Rahmen einer Haushaltssperre zur Abschaltung von OZG-Diensten gekommen, die im Zuge des Onlinezugangsgesetzes erst eingeführt worden waren. Zu kompliziert in der Anwendung, zu aufwendig in der Nachbearbeitung und zu teuer im Betrieb – das sollen die Gründe für das Vorgehen sein. Anscheinend geht es analog doch noch schneller und einfacher von der Hand. Die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart hat einmal nachgerechnet und Messungen angestellt. Das Ergebnis: Die dort eingesetzten OZG-Leistungen beanspruchen das 1,4- bis 1,6-fache der Zeit. „Viele Ämter würden nach heutigem Sachstand rein formularbasierte OZG-Services sofort vom Netz nehmen“, sagt der Chief Digital Officer von Stuttgart, Thomas Bönig. „Diese sind in der internen Bearbeitung aufwendiger für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weil nicht der Prozess digitalisiert wurde, sondern lediglich das Papier im Prozess. OZG-Leistungen, die nur das Formular elektronisch anbieten, haben in der Regel höherer Bearbeitungszeiten, wie wenn die Bürgerinnen und Bürger in die Ämter kommen.“
Noch vor wenigen Jahren hieß es auf Kongressen und Konferenzen ein wenig retro-optimistisch: Das Digitale geht nicht weg. Jetzt fragt man sich dagegen: Bleibt das Analoge bestehen? Zieht man den aktuellen eGovernment-Monitor 2025 heran, hält jeder dritte Befragte in Deutschland Digital only – also den rein digitalen Zugang zu Verwaltungsleistungen – für eine Selbstverständlichkeit. Und ebenso viele können sich dies „prinzipiell gut vorstellen“, haben aber noch Fragen oder Bedenken. 20 Prozent sind kritisch und stimmen Digital only nur unter bestimmten Voraussetzungen zu, während neun Prozent dies klar ablehnen. Freilich sind die Befürworter jünger und eine ablehnende Haltung trifft eher auf die älteren Generationen zu. Dennoch: Dreht man die Zahlen um, haben 66 Prozent Fragen, Bedenken und Anmerkungen gegenüber einer rein digitalen Verwaltung oder lehnen sie schlichtweg ab.
Was die Bürger erwarten
Sich etwas prinzipiell gut vorstellen zu können, hat meist nicht viel mit Empirie zu tun. Bei statistisch durchschnittlich 1,5 Behördenkontakten im Jahr fällt es schwer, eigene Erfahrungen bei der Frage heranzuziehen, ob man Digital only in Deutschland bis 2030 für möglich hält. In den Durchschnittswert fallen ja sowohl diejenigen, die einmal komplexere Transferleistungen beantragt haben, als auch jene, die ihre Passdokumente im Abstand von zehn Jahren verlängern lassen, alle zwei Jahre einen Anwohnerparkausweis beantragen oder einmal Mülltonnen bestellt haben. Die Erfahrungen mit der digitalen Verwaltung klaffen hier gewiss auseinander.
„In einigen Fällen, wenn es um einfache OZG Prozesse geht, mag es durch ein rein elektronisches Formular für die Bürger tendenziell bequemer geworden sein“, sagt Thomas Bönig. „Aber sobald eine gewisse Komplexität ins Spiel kommt, wird es nicht nur für die Ämter immer aufwendiger und schwieriger, sondern auch für die Antragsteller. Daher gehen die Leute lieber direkt aufs Amt, wo sie auch beraten werden.“
Auch hier hat der eGovernment-Monitor nachgehakt und nach den Bedingungen für die Akzeptanz von Digital only in den Generationen gefragt. Schnellere Antragsbearbeitung ist in allen Alterskohorten die wichtigste Legitimation für eine digitale Verwaltung. Deren Akzeptanz steigt ebenso, wenn es Unterstützung bei der digitalen Antragstellung durch telefonischen Service oder persönliche Anlaufstellen gibt. Auch Eingabemasken in einfacher Sprache und mit verständlichen Erläuterungen zählen für viele Befragten zu den Bedingungen für Digital only. Die Aussage, „es wäre unter keinen Umständen in Ordnung für mich, es muss weiterhin analoge Angebote geben“, unterschreiben 24 Prozent der vor 1945 Geborenen und immerhin noch 16 Prozent der Boomer-Generation. Das sind rund 12,4 Millionen Menschen. Kann man die übergehen?
Digitalzwang oder Handlungsfreiheit?
Erst Mitte Juni traten die Bürgerbeauftragten der Länder auf den Plan, warnten vor Ausgrenzung und forderten schon aus Gründen der Inklusion ein Recht auf analoge Zugänge zur Verwaltung. Denn viele Menschen fühlten sich durch die Digitalisierung der Verwaltung überfordert. So gab es etwa bei der verpflichtend digitalen Grundsteuererklärung im vergangenen Jahr zuhauf Beschwerden. Bahnfahrer empören sich regelmäßig darüber, dass die Bahncard nur noch digital verkauft wird und das Deutschlandticket nur über Onlinebanking zu bezahlen ist. Erst auf Protest hin hatte die Deutsche Bahn vom rein digitalen Deutschlandticket abgelassen und eine Plastikkarte wiedereingeführt. Der Bielefelder Verein Digitalcourage spricht diesbezüglich von einem „Digitalzwang“ und will ein Recht auf Leben ohne Apps juristisch verteidigen. Der Hintergrund ist allerdings weniger das Festhalten am Analogen als eine beklagte Datensammelei durch die Bahn-App. Gleichwohl werden Papiertickets gefordert.
Unter Juristen ist ein Streit für und wider das Recht auf Analog entbrannt: Dürfen das Wahrnehmen von Grundrechten und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie die Nutzung öffentlicher Infrastruktur von Internet, Smartphone und bestimmten Apps abhängen? Die Meinungen gehen laut den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestags auseinander: Einerseits besteht das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung, wofür angeblich Digitalisierung und Künstliche Intelligenz stehen sollen. Andererseits hängen die Selbstbestimmungsrechte des Einzelnen und seine Handlungsfreiheit sehr hoch.
Multi-Kanal-Prinzip empfehlenswert
Will man die komplizierte juristische Diskussion zusammenfassen, sinkt ein Recht auf Analog mit der zunehmenden gesellschaftlichen Verbreitung bestimmter Kommunikationskanäle. Eine „technologische Diskriminierung“ derjenigen, die auf Internet und Smartphone verzichten oder diese nicht bedienen können oder wollen, lässt sich somit nicht für alle Zeit begründen.
Dass dieser Zeitpunkt schon gekommen ist, steht beim vorherrschenden Deutschlandtempo in der Digitalisierung wohl nicht zu befürchten. Deshalb ist eine Verwaltung gut beraten, am Multi-Kanal-Prinzip festzuhalten. Das Bundesland Schleswig-Holstein hat dieses sogar in seiner Verfassung von 2008 festgeschrieben (Art. 14 Abs2 Verf-SH) und einen „persönlichen, schriftlichen und elektronischen Zugang zu seinen Behörden und Gerichten“ verankert. Niemand dürfe wegen der Art des Zugangs benachteiligt werden.
Stuttgarts Chefdigitalisierer Thomas Bönig sieht es pragmatisch: „Unsere Strategie wird zukünftig sein, einfache Prozesse – etwa solche ohne Ermessensspielraum – so weit wie möglich vollständig zu digitalisieren, um frei gewordene Ressourcen dann in die Prozesse zu stecken, die wir nicht selbst schnell oder nachhaltig digitalisieren können – sei es wegen der gesetzlichen Rahmenbedingungen oder weil Technik oder zentrale Plattformen fehlen.“ Auch Künstliche Intelligenz, ist sich Bönig sicher, werde im nächsten Jahrzehnt noch keine abschließenden Fallentscheidungen treffen können.
Anders sieht es für die Wirtschaft aus. Dort ist mit dem OZG-Änderungsgesetz das Prinzip Digital only Wirklichkeit geworden. Unternehmensbezogene Verwaltungsleistungen sollen spätestens fünf Jahre nach ihrer Einführung ausschließlich elektronisch angeboten werden. Dann entfällt der Gang zum Amt, weil von einer „hohen Digitalaffinität der unternehmerischen Verwaltungskunden“ ausgegangen wird und analoge Zugänge wirtschaftlich nicht mehr zu rechtfertigen sind.
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