InterviewWeg und Ziel nicht verwechseln

Dr. Michael Ziemons, Gesundheitsdezernent der Städteregion Aachen
(Bildquelle: Barbara van Rey)
Herr Dr. Ziemons, wie sah die Situation der Gesundheitsämter im März 2020 in Aachen aus, als die Corona-Pandemie begann? Welche Rolle spielte das Faxgerät?
Wir benutzen im Gesundheitsamt in Aachen schon seit 20 Jahren eine digitale Fachanwendung. Als die Corona-Pandemie begann, fehlte es vor allem in Laboren und Arztpraxen an Möglichkeiten, Fälle digital so zu melden, dass sie bei uns in die Fachanwendung passen. Insofern quoll wirklich jeden Morgen das Faxgerät über. Wir waren auf Infektionskrankheiten wie Masernausbrüche und Tuberkulosefälle vorbereitet, aber nicht auf eine Pandemie. Alles kam per Fax an und musste händisch in die Fachanwendung getippt werden. Das dauerte pro Fall zehn bis 15 Minuten. Auch Fallzahlen digital ans Robert Koch-Institut (RKI) zu melden, funktionierte nicht. Wir konnten Fälle digital erfassen und eine digitale Fallakte führen, haben dann aber eine E-Mail an das Landeszentrum für Gesundheit (LZG) in Bochum geschickt und von dort wurde ans RKI gemeldet.
Die Überlastung der Gesundheitsämter hat den schlechten Ausstattungszustand der Behörden offenbart. Mangelte es nur an IT-Ausstattung?
Es gab schon einige Gesundheitsämter, die mit einer Fachanwendung gearbeitet haben, viele Kolleginnen und Kollegen in anderen Kommunen haben aber auch Excel-Tabellen genutzt. Auch bei uns hat es eine gewisse Zeit gebraucht, bis unsere Computer-Firma die neue Infektionskrankheit Covid-19 und alle Tools wie ein Symptomtagebuch und so weiter dazu programmiert hatte. Es waren aber nicht alleine die Gesundheitsämter, bei denen es zunächst schleppend lief. Auch die Labore waren nicht in der Lage, ihre Fälle digital zu melden. Wir haben hier in der Städteregion sogar ein Labor, das bis heute nur mit Fax arbeitet, obwohl das gesetzlich gar nicht mehr erlaubt ist.
Die kommunalen Spitzenverbände haben als Kernproblem die mangelnde digitale Vernetzung identifiziert…
Ein Fehler war sicherlich, digitale Vernetzung nur auf der horizontalen Ebene zu betrachten. Lange stand der digitale Austausch zwischen den Gesundheitsämtern im Fokus. Mindestens genauso wichtig ist aber die vertikale Ebene: vom Arzt ins Labor, vom Labor ans Gesundheitsamt, vom Gesundheitsamt ans LZG, vom LZG ans RKI. Diese Kette funktioniert bis heute nicht ordentlich und zu umständlich.
Was hat sich in den vergangenen zwei Jahren verändert?
Es ist sehr viel geschehen. Wir haben uns hier mit unserer Software so aufgestellt, dass wir alles digital bearbeiten können: von der Meldung und Erfassung von Fällen über Kontakt- und Symptomtagebücher bis hin zum Monitoring von Ausbrüchen. Wir können sogar eine Geokarte erstellen und darauf erkennen, wo wie viele Fälle sind. Und selbstverständlich sind wir in der Lage, Fälle digital auszutauschen. Jetzt brauchen wir noch eine datensparsame und sichere Lösung, um Veranstaltungen zu erfassen. Aber bitte nicht mit der unsicheren Luca-App. Ich wundere mich ständig, dass die noch nicht gehackt wurde. In Nordrhein-Westfalen haben wir uns für IRIS connect entschieden, eine Schnittstelle, an die sich verschiedene technische Lösungen wie etwa die Darfichrein-App andocken können.
„Die Instrumente des Pakts für den öffentlichen Gesundheitsdienst sind viel zu kompliziert.“
Warum nutzen Sie nicht die einheitliche SORMAS-Lösung, die den Gesundheitsämtern vom Bund zur Verfügung gestellt wurde?
Auch wir haben SORMAS aufgrund erheblichen politischen Drucks auf unsere Systeme gespielt und einen Vertrag mit dem Helmholtz-Institut geschlossen. Aber wir haben die Software niemals benutzt, weil man damit keine anderen Infektionskrankheiten erfassen kann. Wir müssten dann mehrere Programme nebeneinander laufen lassen. Ich würde behaupten, dass 90 Prozent der Gesundheitsämter, die SORMAS installiert haben, es am Ende nie genutzt haben. Aus meiner Sicht wurden Weg und Ziel verwechselt. Das Ziel ist, dass alle Gesundheitsämter digital und medienbruchfrei Fälle austauschen können. Der Weg dahin ist aber keine Einheitslösung, sondern sind kompatible Schnittstellen. Man muss jedoch unterscheiden zwischen Eigen- und Fachanwendungen. Es gab tatsächlich Gesundheitsämter, die sich quasi als Hobbyprogrammierer betätigt haben und mit einer sehr aufwendigen Excel-Tabelle hantieren. Im Vergleich dazu stellt SORMAS natürlich eine Verbesserung dar. Für jedes Gesundheitsamt, das eine professionelle Software eingesetzt hatte, war es allerdings ein Rückschritt. Ich verstehe diese Freude am Monopol hierzulande nicht.
Immerhin ein öffentliches Monopol…
Der Hersteller ist ein Forschungsinstitut, das anderen Handlungslogiken folgt, als auf dem Markt zu bestehen, und andere Interessen hat als ein Gesundheitsamt. Wenn ich ein digitales Formular benötige, damit Patienten und Kontaktpersonen ihre Daten eintippen können, dann setzt das unser Software-Hersteller binnen zwei Wochen um. Das Helmholtz-Institut sagt womöglich, dass sie Ausbrüche monitoren und keine Servicelösungen für Bürger entwickeln wollen. Übrigens entspricht SORMAS auch nicht dem Datenschutz, da die Software nicht in der Lage ist, Dateien nach den geltenden Fristen rechtzeitig zu löschen. Wären der Aufwand und das Geld, das wir in SORMAS gesteckt haben, für IRIS connect verwendet worden, hätten wir keine Probleme bekommen.
Was müsste jetzt im Gesundheitswesen dringlich bezüglich der Digitalisierung noch alles geschehen?
Ich mache mir große Sorgen über die allgemeine Impfpflicht. Wenn sie kommen sollte, muss jedem klar sein, dass die Gesundheitsämter das nicht kontrollieren können. Ein Weg könnte die elektronische Patientenakte sein, dann sind aber die Krankenkassen in der Pflicht. Ich bin überzeugt, dass man mit viel Engagement auch definieren kann, wer auf welche Daten zugreifen darf. Das ist ja bislang das Problem. Dringlich ist natürlich auch weiterhin die schlechte Ausstattung mit Geräten. Die Instrumente des Pakts für den öffentlichen Gesundheitsdienst sind viel zu kompliziert, weil wir sehr aufwendige Anträge schreiben müssen. Darüber hinaus gibt es noch genügend Bereiche im Gesundheitsamt, die einen Digitalisierungsschub vertragen. Wir brauchen Lösungen, wie sie der Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit aufgestellt hat, beispielsweise IRIS connect. Bei allen Digitalisierungslösungen, die jetzt kommen, müssen wir immer den Datenschutz im Blick haben. Personenbezogene Gesundheitsdaten sind für viele Branchen sehr attraktiv. Deswegen müssen wir sie besonders schützen und nur sichere und datensparsame Lösungen einsetzen.
Kreis Soest: Moderner Hochwasserschutz
[13.06.2025] Der Kreis Soest hat seine PegelApp erweitert. Nicht nur wird jetzt das gesamte Kreisgebiet mit rund 30 Pegelmesspunkten abgedeckt, auch neue Funktionen sind hinzugekommen. So sind jetzt Warnschwellen individuell festlegbar, zudem gibt die App konkrete Handlungsempfehlungen. mehr...
Nordrhein-Westfalen: Gewerbesteuerbescheid erfolgreich pilotiert
[13.06.2025] Der digitale Gewerbesteuerbescheid kann Prozesse in Unternehmen, bei Steuerberatern, Kommunen und der Steuerverwaltung vereinfachen. In Nordrhein-Westfalen sind die Kommunen nach einer erfolgreichen Pilotphase aufgefordert, die Einführung des Verfahrens – mit Unterstützung des Landes – voranzutreiben. mehr...
Dataport/SHLB: Nachhaltige Planung von Digitalprojekten
[10.06.2025] Kohlendioxid ist ein Hauptfaktor für den Treibhauseffekt – und fällt auch bei Nutzung digitaler Anwendungen an. Um die CO₂-Emissionen digitaler Projekte schon im Voraus kalkulieren und optimieren zu können, haben Dataport und die SHLB einen browserbasierten CO₂-Rechner entwickelt. mehr...
Berlin: KI hilft bei Abwicklung des ReparaturBONUS
[23.05.2025] Die Zukunft der Fördermittelverwaltung liegt in der Digitalisierung. Das hat das Unternehmen MACH mit der Entwicklung einer digitalen Antragsplattform für die Berliner Verwaltung unter Beweis gestellt. Die Lösung sorgt für eine effizientere Abwicklung des ReparaturBONUS und spürbare Entlastung der Mitarbeitenden. mehr...
Brandenburg: Bürgerservice per Videokabine
[19.05.2025] Der Landkreis Uckermark wurde im Rahmen der Bundesinitiative DigitalPakt Alter für seinen digitalen Bürgerservice für Seniorinnen und Senioren ausgezeichnet. Im Rahmen des Projekts LISA wurden an bisher sechs Standorten Videokabinen eingerichtet, die wohnortnah Kontakt zur Kreisverwaltung ermöglichen. mehr...
Dresden: Bezahlkarte für Asylsuchende gestartet
[09.05.2025] Seit dieser Woche bekommen neu zugewiesene Geflüchtete in Dresden erstmals die neue Bezahlkarte. Damit ist die Einführung in Sachsen einen Schritt weiter. Ziel ist es, Bargeldauszahlungen zu reduzieren und Behörden zu entlasten. mehr...
Baden-Württemberg: Leitfaden für bessere Bürgerkommunikation
[07.05.2025] Ein Projekt der Dualen Hochschule Stuttgart soll Verwaltungen in ländlichen Regionen helfen, besser mit Bürgerinnen und Bürgern zu kommunizieren. Der nun veröffentlichte Leitfaden enthält konkrete Empfehlungen und zeigt, welche Kanäle Bürgerinnen und Bürger nutzen wollen. mehr...
Nürnberg: Konzept Bürger-PC gestartet
[25.04.2025] Um noch mehr Menschen die digitale Teilhabe zu ermöglichen, erprobt Nürnberg jetzt den so genannten Bürger-PC. Die Selbstbedienungsrechner sind mit Druckern und Scannern ausgestattet und für Mehrgenerationenhäuser oder Stadtteiltreffs vorgesehen. Ehrenamtliche unterstützen die Bürgerinnen und Bürger bei der Nutzung. mehr...
Schleswig-Holstein: Kooperation verlängert
[16.04.2025] Nach fünf erfolgreichen Jahren haben Schleswig-Holstein und der ITV.SH ihre Kooperation zur Verwaltungsdigitalisierung bis Ende 2029 verlängert. Geplant sind unter anderem der Roll-out weiterer digitaler Anträge und Unterstützung für Kommunen bei Informationssicherheits- und IT-Notfällen. mehr...
Darmstadt: Resiliente Krisenkommunikation
[11.04.2025] Großflächige, lang andauernde Stromausfälle sind selten – stellen die Krisenkommunikation jedoch vor Schwierigkeiten, weil Mobilfunk, Internet und Rundfunk ausfallen. In Darmstadt wird nun eine energieautarke digitale Litfaßsäule erprobt, die auch bei Blackouts als Warnmultiplikator funktioniert. mehr...
Diez/Kaisersesch/Montabaur/Weißenthurm: Kooperation im Prozessmanagement
[08.04.2025] Gemeinsam wollen die Verbandsgemeinden Diez, Kaisersesch, Montabaur und Weißenthurm ihre Verwaltungsprozesse effizienter gestalten. Im Fokus steht die Wissensdokumentation ihrer Prozesse. Auch sollen eine Datenbank für Notfallszenarien und ein interkommunales Prozessregister aufgebaut werden. mehr...
Hessen: Projekt Di@-Lotsen wächst weiter
[07.04.2025] Das hessische Digitallotsen-Projekt, das älteren Menschen den Zugang zur digitalen Welt erleichtern soll, wird fortgeführt und ausgeweitet. Kommunen, Vereine und andere Einrichtungen können sich bis zum 11. Mai 2025 als digitale Stützpunkte bewerben. mehr...
Berlin: Beihilfe ohne Medienbrüche
[04.04.2025] In Berlin haben Beamtinnen und Beamte nicht nur die Möglichkeit, Anträge auf Beihilfe digital zu stellen – mit einer neuen App ist es ab jetzt auch möglich, den Bearbeitungsstand einzusehen und die Bescheide digital zu empfangen. mehr...
Interkommunale Zusammenarbeit: Dritte Förderphase für Digitale Dörfer RLP
[01.04.2025] Das Netzwerk Digitale Dörfer RLP erhält bis 2026 weitere 730.000 Euro Landesförderung. Erfolgreiche Digitalprojekte sollen landesweit ausgerollt und die interkommunale Zusammenarbeit gestärkt werden. Ein Schwerpunkt liegt auf wissenschaftlich unterfütterten Pilotprojekten zum Bürokratieabbau. mehr...
Bayern: Ein Jahr Zukunftskommission
[31.03.2025] Die Zukunftskommission #Digitales Bayern 5.0 hat ihren aktuellen Bericht vorgelegt. Unter Leitung des Finanz- und Heimatministeriums erarbeiten Ministerien, Kommunalverbände und Experten Lösungen für eine einheitlichere, effizientere und sicherere IT in Bayerns Kommunen. mehr...