Sonntag, 15. Juni 2025

Bundesagentur für ArbeitVöllig neue Services

[20.09.2023] Auf ihrem Weg zur datengeleiteten Organisation greift die Bundesagentur für Arbeit (BA) auf Künstliche Intelligenz zurück. Markus Schmitz, Generalbevollmächtigter und Geschäftsführer Informationstechnologie und Digitale Prozesse, stellt die Einsatzszenarien vor.
Dr. Markus Schmitz

Dr. Markus Schmitz, Generalbevollmächtigter und Geschäftsführer Informationstechnologie und Digitale Prozesse bei der Bundesagentur für Arbeit

(Bildquelle: Bundesagentur für Arbeit)

Herr Dr. Schmitz, die Bundesagentur für Arbeit (BA) will sich zu einer daten­geleiteten Organisation wandeln. Was ist darunter zu verstehen? Das muss man aus der Historie ableiten. Als ich im Jahr 2005 zur BA kam, war das die Zeit der Massenarbeitslosigkeit und Hartz-Reform. Damals gab es den ersten Wechsel von einer statistikgeleiteten Organisation hin zum Ansatz des New Public Management, bei dem mit Controlling-Daten gearbeitet wird. Nun haben wir die Digitalisierung und wir wollen eine digitale Agentur schaffen, in der Bürgerinnen und Bürger sowohl persönlich beraten werden als auch viele einfache Dinge digital abwickeln können. Das bedeutet einen anderen Umgang mit Daten. Wir wollen mit dem Datenschatz, den wir haben, die Automatisierung vorantreiben, aber auch ganz neue Services anbieten, die vorher nicht denkbar waren. Dafür setzen Sie auch Künstliche Intelligenz (KI) ein. Um welche Art von KI handelt es sich? Wir haben es in der BA häufig mit unstrukturierten Daten zu tun, mit Dokumenten und E-Mails, aus denen wir Informationen extrahieren wollen. Hierfür nutzen wir Natural-Language-Processing-Lösungen (NLP), die man für einen Anwendungsfall trainieren muss. Daneben setzen wir Klassifikationsmodelle ein, die „richtig“ und „falsch“ labeln und etwa eine Studienbescheinigung vom Kfz-Steuerbescheid unterscheiden können. In welchen Bereichen wird KI jetzt schon eingesetzt? Einer der ersten großen Anwendungsfälle war das Kindergeld. Jährlich kommen rund 150.000 Anträge auf Weiterbewilligung von Kindergeld aufgrund eines Studiums zusammen. Das Antragsverfahren läuft digital ab, die Eltern laden dazu eine Studienbescheinigung hoch. Wir trainieren die KI einmal im Jahr mit allen in Deutschland gültigen Studienbescheinigungen und mit anderen Dokumenten, die Menschen bei uns einreichen. Die KI vergleicht die Universität, das Format, das richtige Jahr und gibt eine Prognose ab: Diese Studienbescheinigung ist zu 98 Prozent echt. Weil wir dem Kassenrecht des Bundes unterliegen, dürfen wir momentan noch keine automatisierte Bewilligung und Bescheidung ausführen. Ein Mensch muss immer noch einen Klick machen. Ein weiteres Beispiel sind Stellenangebote. Im Jahr erhalten wir rund 1,2 Millionen unstrukturierte Stellenangebote von mittelständischen Betrieben, die nicht unsere Eingabemasken benutzen, sondern E-Mails, Word-Dokumente oder einen Link zur eigenen Web-Seite schicken. Mittels Natural Language Processing wollen wir daraus automatisiert Stellenangebotsdaten generieren. Ist der Arbeitgeber tariflich gebunden? Handelt es sich um Vollzeit oder Teilzeit? Wann ist der Stellenbeginn? Insgesamt 40 Kernfelder müssen ausgefüllt werden, um in die Vermittlung einzusteigen. Das wollen wir automatisiert unterstützen und trainieren zurzeit unser KI-Modell. Wenn wir es hinbekommen, hätte das einen Rieseneffekt. Denn die händische Erfassung nimmt pro Fall zwölf Minuten in Anspruch. „Generell ermöglicht der KI-Einsatz Dinge, die vorher nicht denkbar waren.“ KI bedeutet Wandel. Wie haben Sie den Change-Prozess im Haus organisiert? Es ist ein doppelter Change-Prozess. Zum einen haben wir im Rahmen unserer KI-Strategie intensiv darüber nachgedacht, wie wir Daten künftig verantwortungsvoll und datenethisch fundiert nutzen wollen. Man muss immer die Folgen bedenken. Möchte ich beispielsweise die Förderdaten der vergangenen zehn Jahre als Grundlage für Entscheidungen nehmen, kann es sein, dass zwei Bundesministerien bestimmte Schwerpunktthemen gesetzt haben. Diese Schwerpunkte sind dann automatisch in den Daten als Bias enthalten. Wenn ich die Daten nun unreflektiert als Grundlage nehme, um Prognosen für weitere Förderungen zu veranlassen, schließe ich Gruppen aus, die nicht zu den Schwerpunkten dieser Ministerien zählten. Folglich müssen die Daten erst zentral bereinigt werden, damit sie diskriminierungsfrei sind. Der andere Change betrifft unsere Mitarbeiterschaft. Wir müssen sie frühzeitig auf die Digitalisierung und Automatisierung vorbereiten. Altersbedingt werden in den nächsten zehn Jahren bis zu 35.000 Mitarbeiter aus der BA ausscheiden. Das wollen wir teils durch Automatisierung ausgleichen. Hierbei haben wir uns einer Human Friendly Automation verpflichtet. Das bedeutet, dass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbeziehen und durch Fort- und Weiterbildung qualifizieren. Wir wollen sie in der Organisation halten. Welche Veränderungen ergeben sich dadurch für Mitarbeiter? In Behörden muss viel dokumentiert werden. Ein großes Potenzial sehe ich in der Spracherkennung. Software hilft uns beispielsweise dabei, die Fachsprache der Ärzte in einen automatisierten Vermerk umzuwandeln. Wenn das funktioniert, würden wir das auf die komplette Beratung und Vermittlung ausdehnen. Viele Routinetätigkeiten der Vermittler sind dann nicht mehr notwendig. Ein anderes Beispiel sind Kompetenztrends. Wir versuchen mit unserem Forschungsin­stitut IAB herauszufinden, welche konkreten Skills der Markt nachfragt. Dazu durchforsten wir Stellenanzeigen nach Kompetenzen, die von Arbeitgebern aufgeführt und erwartet werden, und vergleichen sie mit den Vorjahren. Branchenspezifisch erhalten wir Informationen, die wir für die Beratung und auch die Weiterbildung nutzen können. Sind weitere KI-Projekte in Planung? Wir bauen gerade eine nationale Online-Weiterbildungsplattform auf und versuchen damit, die Weiterbildungsangebote bundesweit zusammenzuführen. Im Ergebnis sollen die Menschen nicht mehr überall suchen müssen. Wir selbst haben viele Angebote und die Länder ebenfalls. Da es enorm viele Dubletten gibt, ist aber eine KI-basierte Qualitätssicherung notwendig. Ein anderes Thema ist der Job-Futuromat, ein Forschungsprojekt des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Dabei geht es darum, die Automatisierungsfähigkeit eines Berufsfelds zu bestimmen. Wie hoch ist diese beispielsweise für Tätigkeiten von Rechtsanwalts- und Notarsgehilfen, in Bauberufen, im Hotel- und Gaststättenbereich? KI hat dabei einen Akzelerator-Effekt und wird sicherlich die Arbeitsmärkte deutlich verändern. Ob allerdings automatisiert wird, entscheidet die Industrie. In der BA zahlt sich der KI-Einsatz jedenfalls nicht allein durch die Automatisierung aus… Generell ermöglicht KI Dinge, die vorher nicht denkbar waren. Man kann zum Beispiel die Amazon-Funktion „Was haben andere gekauft“ auf die Beratung übertragen. Durch unsere Beschäftigtenstatistik wissen wir, wohin Menschen im neuen Beruf gehen. Wir können also Mechatronikern sagen, in welche Berufe oder Spezialisierungen andere mit fünf Jahren Berufserfahrung gewechselt sind. Das sind Mehrwertdienste, die zuvor nur durch das Erfahrungswissen von Menschen abgedeckt waren, die 30 Jahre als Vermittler gearbeitet haben. Nun können wir es allen Mitarbeitenden zur Verfügung stellen, und es ist nicht mehr dem Zufall überlassen, an welchen Kollegen mit welchem Erfahrungswissen ein Arbeitssuchender gerät.

Interview: Helmut Merschmann




Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: IT-Infrastruktur
Amt Föhr-Amrum Gebäude
bericht

Föhr-Amrum: Mit vereinten Kräften

[28.05.2025] Das Amt Föhr-Amrum hat vor rund einem Jahr eine Verwaltungskooperation mit dem Land Schleswig-Holstein getroffen. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. mehr...

Hardware, die mit darüber schwebenden Wolken verbunden ist.
bericht

IT.NRW: Basis der Modernisierung

[26.05.2025] Mit einer föderal anschlussfähigen Multi-Cloud-Architektur unterstützt IT.NRW den Aufbau interoperabler IT-Strukturen, entwickelt standardisierte Verwaltungsdienste und trägt zur sicheren Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus bei. mehr...

Mehrere Personen stehen nebeneinander, im Hintergrund ist unter anderem ein Monitor zu sehen.

Freudenberg: Bürgerbüro arbeitet effizienter

[26.05.2025] Ein neues Terminvereinbarungs- und Besucherleitsystem optimiert in der Stadt Freudenberg die Arbeitsabläufe im Bürgerbüro. Das kommt nicht nur den Verwaltungsmitarbeitenden, sondern auch den Bürgerinnen und Bürgern zugute. mehr...

Neben dem Eingang zum Amt Hüttener Berge ist das Bürgerinfoterminal installiert.
bericht

Hüttener Berge: Digitale Überzeugungstäter

[15.05.2025] Als eine der ersten Kommunen in Schleswig-Holstein hatte das Amt Hüttener Berge eine Digitalisierungsstrategie und hat inzwischen zahlreiche Maßnahmen seiner Digitalen Agenda umgesetzt. Die gewonnenen Erkenntnisse kommen auch anderen Kommunen zugute. mehr...

Gruppenfoto der Prozessmanagement@ERK-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer.

Ennepe-Ruhr-Kreis: Interkommunales Prozessmanagement

[14.05.2025] In einem interkommunalen Projekt widmen sich der Ennepe-Ruhr-Kreis und die Städte Witten, Hattingen, Gevelsberg, Wetter und Sprockhövel dem Prozessmanagement. Unter anderem wollen sie ein gemeinsames Prozessregister aufbauen. Der Austausch zwischen den Teilnehmenden ist ein zentraler Aspekt des Vorhabens. mehr...

Nextcloud-Geschäftsführer Frank Karlitschek und Thomas Bönig, CIO und CDO der Landeshauptstadt Stuttgart und Leiter des Amts für Digitalisierung, Organisation und IT (DO.IT) reichen einander die Hand.

Stuttgart: Plattform erleichtert Zusammenarbeit

[12.05.2025] Einfach, effizient und dennoch sicher soll die digitale Zusammenarbeit in der Stadtverwaltung Stuttgart vonstatten gehen. Gleiches gilt für den Datenaustausch mit externen Partnern. Dafür setzt die baden-württembergische Landeshauptstadt nun eine Kollaborationsplattform ein. mehr...

Gruppenfoto von Henning Kohlmeyer, Lara Kremeyer, Massih Khoshbeen und Martial Koyou-Schiffer, die in Hannover mit der E-Government-Plattform cit intelliForm arbeiten.
bericht

Hannover: Schritt für Schritt zum Ziel

[30.04.2025] Die Verwaltungsdigitalisierung ist eine zentrale Herausforderung für Kommunen. Die Stadt Hannover zeigt, wie es mit einem Low-Code-Ansatz gelingen kann, Verwaltungsleistungen effizient zu digitalisieren und gleichzeitig interne Prozesse zu optimieren. mehr...

Simulation des neuen Verwaltungsgebäudes, das in Ebern errichtet werden soll.
bericht

Bauamt Schweinfurt: Erstes BIM-Projekt in Ebern

[30.04.2025] In Ebern soll ein neues Verwaltungsgebäude für die Landesbaudirektion Bayern errichtet werden. Es ist das erste Building-Information-Modeling-Projekt des Staatlichen Bauamts Schweinfurt. Ein virtueller Projektraum sorgt teamübergreifend für Übersicht. mehr...

Schreibtisch mit Kopfhörer und weiblicher Person im Hintergrund an einem PC.

Artland: Kommunikationslösung mit Zukunft

[29.04.2025] Effizient, flexibel, sicher und zukunftsweisend ist die neue Telefonielösung der Samtgemeinde Artland. Die cloudbasierte und in Deutschland gehostete Unified Communications and Collaboration (UCC)-Anwendung ist einfach zu bedienen und erlaubt eine ortsunabhängige Kommunikation bei nahtloser Erreichbarkeit. mehr...

München: Über eine cloudbasierte Datenaustauschplattform können Bürger nun sicher mit der Verwaltung kommunizieren.

München: Fortschritte bei der Digitalisierung

[28.04.2025] Den aktuellen Bericht, der die Fortschritte im Bereich Digitalisierung aufzeigt, hat das IT-Referat der Stadt München jetzt vorgestellt. Ein Highlight der diesjährigen Auflistung ist das Vorankommen im Handlungsfeld Digital Government. mehr...

Eine Hand hält ein Smartphone, auf dessen Bildschirm das Terminmanagement-System der Stadt Essen zu sehen ist, im Hintergrund ist verschwommen das Serviceterminal zu sehen.

Essen: Neue Terminlösung hat Erfolg

[17.04.2025] Seit acht Monaten kommt in Essen ein neues Terminmanagementsystem zum Einsatz. Die Lösung wird gut angenommen und verbessert die Abläufe vor Ort. Sukzessive wird sie auf alle termingebundenen Dienstleistungen der Stadt ausgeweitet. mehr...

Außenansicht des Landratsamts Schmalkalden-Meiningen.

Kreis Schmalkalden-Meiningen: IT-Infrastruktur zentralisiert

[16.04.2025] Im Kreis Schmalkalden-Meiningen ist der Kommunale IT-Service (KitS) für die IT-Infrastruktur der Kommune, ihrer Schulen und der öffentlichen Unternehmen zuständig. Um dieser Aufgabe besser nachkommen zu können, setzt der KitS nun eine zentralisierende, hyperkonvergente Lösung ein. mehr...

Ein Schulkind schaut seinem Nebensitzer über die Schulter, um abzuschreiben.
bericht

Lüneburg: Abgucken erwünscht

[04.04.2025] Die Hansestadt Lüneburg hat die Anmeldung für Grundschulen digitalisiert. Mit dem Formular-Editor von NOLIS hat sie eigenständig ein Onlineformular entwickelt, das eine digitale Anmeldung an allen Grundschulen in öffentlicher Trägerschaft ermöglicht. mehr...

Zahnräder greifen ineinander, wie Prozesse und Formulare via Picture und formcycle ineinander greifen.

Picture / XIMA Media: Schnittstelle vereint Prozesse und Formulare

[31.03.2025] Die Unternehmen Picture und XIMA Media haben eine Schnittstelle zwischen der PICTURE-Prozessplattform und dem Formularsystem formcycle realisiert. Somit können bei der Prozessmodellierung gezielt passende Formulare und Assistenten ausgewählt und mit dem Prozessschritt verknüpft werden. mehr...

Eine Frau wirft einen Stimmzettel in einer Wahlurne, im Hintergrund die Deutschlandfahne.

SIT/KDVZ/regio iT: Bundestagswahl gemeinsam gemeistert

[04.03.2025] Gemeinsam haben die KDVZ Rhein-Erft-Rur in Frechen, die regio iT in Aachen und die Südwestfalen-IT mit Standorten in Hemer und Siegen für den sicheren technischen Ablauf der Bundestagswahl in ihrem Zuständigkeitsbereich gesorgt. mehr...