Dienstag, 5. November 2024

OZG-UmsetzungAnspruch und Wirklichkeit

[11.01.2021] Mit der OZG-Umsetzung wollen Bund und Länder den digitalen Entwicklungsrückstand im Bereich der öffentlichen Verwaltung aufholen. Ob das gelingt, entscheidet sich auf kommunaler Ebene sowie an den Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Verwaltung.
Für die angestrebte Umsetzung des OZG bleibt noch viel zu tun.

Für die angestrebte Umsetzung des OZG bleibt noch viel zu tun.

(Bildquelle: nikilitov/stock.adobe.com)

Mit der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) sollen sich bekanntlich ab dem Jahr 2023 praktisch alle Verwaltungsleistungen in Deutschland digital abwickeln lassen. Das Projekt ist gut gestartet, hat bereits einige vielversprechende Ergebnisse vorzuweisen und wurde im Rahmen des Konjunkturpakets mit zusätzlichen Finanzmitteln in Höhe von drei Milliarden Euro ausgestattet. Doch diese aktuell guten Rahmenbedingungen sind trügerisch. Erst die kommenden Wochen werden darüber entscheiden, ob das anspruchsvolle Vorhaben wirklich ein Erfolg wird.
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und der IT-Planungsrat haben in den ersten drei Jahren der OZG-Umsetzung viel richtig gemacht: klarer Fokus auf die Nutzer, Bündelung von Leistungen in Themenfeldern, Einführung agiler Arbeitsformen und Methoden. Im Ergebnis hat die ressort-, ebenen-, und verwaltungsübergreifende Zusammenarbeit durch diese Aktivitäten schon jetzt eine neue Qualität bekommen. Davon konnten auch die Kommunen direkt oder indirekt profitieren. Vielerorts bewirkten das OZG und die damit in Verbindung stehenden Aktivitäten zur Einrichtung von Digitalisierungslaboren eine echte Aufbruchsstimmung.

Aktive OZG-Szene überschaubar

Doch hochgerechnet auf ganz Deutschland ist die aktive OZG-Szene nach wie vor überschaubar. Insbesondere für viele kleinere Kommunen klingen Begriffe wie FIM, FINK, FITKO, FIT-Store, FIT-Connect, SDG, OnceOnly, eIDAS oder EfA-Prinzip wie eine verwaltungsinterne Geheimwissenschaft – auch, weil der Informationsfluss in die kommunale Ebene nach wie vor nicht optimal funktioniert. Was jedoch in diesem Fall weniger am BMI oder dem IT-Planungsrat liegt. Die Bundesländer und die kommunalen Spitzenverbände auf Landesebene sind es, die jetzt stark gefordert sind, den Prozess der OZG-Umsetzung überall in die Fläche zu bringen.
Was in den kommenden zwei Jahren im OZG-Prozess ansteht, ist eine Herkulesaufgabe. Gut 600 Verwaltungsleistungen (hinter denen sich rund 6.000 Einzelleistungen verbergen) gilt es, flächendeckend in Deutschland umzusetzen – also in fast 11.000 Kommunen. Und selbstverständlich kann es dabei nicht nur um die Weiterleitung von Formulardaten oder PDF-Dokumenten gehen. Doch gerade bezüglich der vollständig digitalen Abwicklung von Verwaltungsverfahren (einschließlich der Anbindung bestehender Fachverfahren) gibt es auf kommunaler Ebene aktuell leider sehr viel mehr Fragen als Antworten.

Verschiedene EfA-Strategien

Das BMI und der IT-Planungsrat haben für die bundesweite Nutzung von OZG-Lösungen das Einer-für-Alle-Prinzip (EfA) entwickelt. Vereinfacht gesagt, sollen alle bundesweit nutzbaren Lösungen im Idealfall auf einer technischen Plattform zur Verfügung gestellt werden – ganz im Sinne eines App Stores für E-Governnment-Anwendungen. Ohne Frage ist dies ein sehr innovatives und zukunftsweisendes Konzept – doch leider ist aktuell noch nicht klar, wie das Ganze in den verbleibenden zwei Jahren konkret umgesetzt werden soll. Denn einige Bundesländer verfolgen eigene EfA-Strategien mit einem gänzlich anderen Ansatz. Dabei geht es oft nicht um echte Plattform-Lösungen, sondern eher um einfache modulare Baukästen für Online-Prozesse.
Also Infrastrukturen für das Neu- oder Nachbauen statt für das Mit- und Nachnutzen von OZG-Lösungen anderer Bundesländer. Damit dürfte – unabhängig von den klar negativen volkswirtschaftlichen Effekten – allein mit Blick auf das oben skizzierte Mengengerüst eine landesweite OZG-Umsetzung kaum zu schaffen sein. Zumal solche landesweiten Portallösungen für Kommunen mit bereits bestehenden interaktiven Serviceportalen und intelligenten Antragsassistenten inklusive angebundener Fachverfahren sogar ein klarer Rückschritt wären. Daher sind viele Kommunen aktuell sehr verunsichert. Die kommunalen Spitzenverbände auf Landesebene wiederum sind nicht selten auf Kuschelkurs mit ihren Innenministerien und/oder abhängig von kommunalen Rechenzentren, denen erfahrungsgemäß jedoch auch nicht immer eine strategische oder technologische Führungsrolle im Veränderungsprozess der öffentlichen Verwaltung zukommt.

Nachjustierung notwendig

Um bis Ende 2022 möglichst optimale Ergebnisse zu erzielen, sollte beim OZG-Prozess Anfang 2021 an einigen Stellen unbedingt nachjustiert werden:
• Einer-für-Alle-Anwendungen im OZG-Prozess müssen als echte Plattform-Lösungen konzipiert und umgesetzt werden, die dezentrale IT-Verfahren weitgehend ersetzen und von allen Kommunen deutschlandweit genutzt werden können.
• Ergänzend zum einheitlichen Servicekonto für Unternehmen ist eine industriepolitische Neubewertung der OZG-Umsetzung nötig. Dabei sollte zugleich der Roll-out sicherer digitaler Identitäten sowie der Aufbau kooperativer und digital-souveräner Daten-Infrastrukturen mitgedacht werden.
• Jedes Bundesland sollte sich im Wettbewerb um die besten Lösungen am Aufbau einer föderalen plattformbasierten IT-Architektur für Deutschland und Europa beteiligen. Landesweite IT-Infrastrukturen sollten sich auf leistungsfähige und sichere Netze, Serviceportale und technische Basisdienste konzentrieren.
• Die länderübergreifende Zusammenarbeit von Kommunen sollte intensiviert werden – auch und gerade in Bezug auf die Entwicklung, Erprobung und gemeinsame Nutzung innovativer Lösungen für digitale Städte und Regionen. Es spricht viel dafür, dass urbane Daten- und Plattformarchitekturen wichtige Blaupausen und Lernkurven für die Verwaltungsinformatik der Zukunft sind.
• Darüber hinaus sind eine intelligente Konsolidierung sowie technische Verbünde im Bereich der kommunalen Rechenzentren nötig – und zwar auf nationaler oder sogar europäischer Ebene.

Operative Unterstützung für Kommunen

Die Kompetenzen der Anbieter von E-Government-Lösungen müssten strategisch und operativ noch besser in den OZG-Prozess eingebunden werden. Dabei geht es sowohl um pragmatische Übergangslösungen (Formular-Server und Fachanwendungen) als auch um die Transformationsunterstützung dieser Branche in Richtung Plattformarchitekturen und Apps sowie Künstliche Intelligenz. Es sollten regionale Kompetenzverbünde und Digitalagenturen für die operative Unterstützung von Kommunen im Prozess der OZG-Umsetzung aufgebaut werden. Länderübergreifenden Metropolregionen kann dabei eine besondere Transformationswirkung zukommen.
Das OZG bildet bestenfalls den Einstieg in die vernetzte Verwaltung von Morgen. Daher braucht die öffentliche Verwaltung Digitalisierungsstrategien, die deutlich über 2022 hinausreichen. Zudem gilt es, schon heute massiv in Schulung und Weiterbildung zu investieren. In Deutschland wären nicht nur neue Lehrstühle für Künstliche Intelligenz nötig, sondern auch vergleichbare Initiativen im Bereich Staats- und Verwaltungswissenschaften sowie im Bereich der Verwaltungsinformatik. Denn trotz aller aktuellen Probleme ist die OZG-Umsetzung einer der wichtigsten Bausteine für die vernetzte Verwaltung von Morgen.

Marco Brunzel ist Bereichsleiter für Digitalisierung und E-Government in der Metropolregion Rhein-Neckar sowie Fellow am Stein-Hardenberg-Institut in Berlin.




Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Blick vom See auf das neue Rathaus Hannover, HMTG

Hannover: Fonds für digitalen Fortschritt

[30.10.2024] Hannover setzt mit einem 48-Millionen-Euro-Digitalisierungsfonds auf die umfassende Modernisierung seiner Verwaltungsprozesse. Ziel ist ein digitales Rathaus, das Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen effiziente, benutzerfreundliche Services bietet. Die IT-Strategie umfasst dazu digitale Souveränität und Kosteneffizienz. mehr...

Digitalisierung: Dresdner Forderungen 2.0

[22.10.2024] Die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik hat 20 Thesen zum digitalen Wandel formuliert. Die Forderungen zielen darauf ab, die Verwaltung effizienter, zukunftssicherer und bürgerfreundlicher zu machen. mehr...

bericht

Liechtenstein: Mit Pragmatismus und Agilität

[14.10.2024] Liechtenstein hat auf dem Weg zum Smart Country bereits eine beeindruckende Entwicklung zurückgelegt. Das ist nicht zuletzt vielen mutigen Entscheidungen und einer gehörigen Portion Pragmatismus geschuldet. mehr...

Holger Klötzner, Dezernent für Digitalisierung und Bildung der Stadt Darmstadt; Maral Koohestanian, Leiterin des Dezernats für Smart City, Europa und Ordnung der Stadt Wiesbaden; Eileen O’Sullivan, Dezernentin für Bürger:innen, Digitales und Internationales der Stadt Frankfurt am Main
interview

Smartes Rhein Main 2030: Gemeinsame Vision

[02.10.2024] Eine gemeinsame Vision für ein smartes Rhein-Main-Gebiet haben die Städte Frankfurt am Main, Wiesbaden und Darmstadt erarbeitet. Im Interview erklären die CIOs Eileen O’Sullivan, Maral Koohestanian und Holger Klötzner, was konkret geplant ist. mehr...

Landrat Achim Brötel ist neuer Präsident des Deutschen Landkreistages.

Deutscher Landkreistag: Achim Brötel ist neuer Präsident

[11.09.2024] Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat einen neuen Präsidenten gewählt: Achim Brötel, Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises, tritt die Nachfolge von Reinhard Sager an, der das Amt zuvor zehn Jahre lang innehatte. mehr...

Charta Digitale Ethik setzt die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Essener Stadtverwaltung.

Essen: Charta Digitale Ethik verabschiedet

[04.09.2024] In ihrer Charta Digitale Ethik hat die Stadt Essen die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Stadtverwaltung festgelegt. Das soll insbesondere für einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz sorgen. mehr...

Scheckübergabe an die Gewinner des Wettbewerbs um den Ulmer Lederhof.

Ulm: Innovationsmotor gestartet

[23.08.2024] Um ihre Digitale Agenda mit kreativen Köpfen aus der Region umzusetzen, hat die Stadt Ulm den Innovationsmotor gestartet – einen Ideenwettbewerb insbesondere für junge Unternehmen. Runde eins hat der digitale Begleiter für Angsträume gewonnen. mehr...

Markt Postbauer-Heng: Digitalisierung ist kein Privileg der Metropolen

[08.08.2024] Auch kleine Kommunen sind in der Lage, bürgernahe digitale Lösungen zu implementieren, wie das Beispiel des Marktes Postbauer-Heng zeigt. Um die Entstehung digitaler Insellösungen zu vermeiden, wurde die Zukunftskommission #Digitales Bayern 5.0 ins Leben gerufen. mehr...

Kick-off zur Digitalisierungsstrategie der Stadt Petershagen
.

Petershagen: Mit OWL-IT in die digitale Zukunft

[02.08.2024] Gemeinsam mit dem IT-Dienstleister OWL-IT hat die Stadt Petershagen nun den Startschuss für die Erarbeitung einer umfassenden Digitalstrategie gegeben. mehr...

In Bayern soll nach dem Willen von Digitalminister Fabian Mehring der „Digitalisierungsturbo“ gezündet werden.

Bayern: Land unterstützt Digitalisierung der Kommunen

[16.07.2024] Bayerns Digitalminister sieht die konsequente Digitalisierung der Verwaltung als wichtige Möglichkeit, um den künftigen Ruhestand der Babyboomer-Generation und den dadurch entstehenden Fachkräftemangel zu kompensieren. Es gelte, die Potenziale von Standardisierung, Zentralisierung und KI zu nutzen. mehr...

Essen-CDO Peter Adelskamp

Interview: Wir brauchen eine Dachmarke

[15.07.2024] Peter Adelskamp ist Chief Digital Officer (CDO) in Essen und dort zugleich Fachbereichsleiter Digitale Verwaltung. Im Gespräch mit Kommune21 berichtet er von seiner Arbeit in Essen und dem dortigen Stand der Digitalisierung. mehr...

Laut dem jüngsten eGovernment-Benchmark-Report haben die europäischen Staaten bei der Bereitstellung digitaler Behördendienste stetige Fortschritte gemacht.

eGovernment Benchmark 2024: Nutzerzentrierung ist der Schlüssel

[08.07.2024] Laut dem jüngsten eGovernment-Benchmark-Report der Europäischen Kommission haben die europäischen Staaten bei der Bereitstellung digitaler Behördendienste stetige Fortschritte gemacht. Raum für Optimierungen gibt es insbesondere bei grenzüberschreitenden Diensten und bei Dienstleistungen, die von regionalen und kommunalen Behörden erbracht werden. mehr...

Schleswig-Holstein: Kommunale Open-Data-Projekte gefördert

[05.07.2024] Wirtschaft und Forschung profitieren von offenen Daten, können zu mehr Transparenz beitragen und dadurch Bürgernähe schaffen. Das Land Schleswig-Holstein fördert ab sofort bis 2027 kommunale Projekte zur Anbindung an das landesweite Portal für offene Daten. mehr...

Das OZG 2.0 muss eine neue Genetik vorweisen.

OZG 2.0: Neue DNA verankern

[04.07.2024] Um ein Erfolg zu werden, muss das OZG 2.0 die Ende-zu-Ende-Digitalisierung als neue DNA verinnerlichen. Mit der Einigung zwischen Bund und Ländern ist die Basis dafür geschaffen. mehr...

Bayerns Digitalminister Dr. Fabian Mehring

Digitales Bayern: Der Sound der Zukunft

[03.07.2024] Bayern segelt auf Innovationskurs, sagt Fabian Mehring. Kommune21 sprach mit dem Digitalminister des Freistaats über die Reorganisation seines Ressorts, seine Pläne für einen innovativen Staat und die Rolle der Kommunen dabei. mehr...