Montag, 9. Dezember 2024

E-Government in EuropaDer Blick gen Norden

[02.08.2021] Um die Verwaltungsdigitalisierung voranzutreiben, richtet sich der Blick immer stärker nach Norden – gelten skandinavische Länder wie Dänemark hierbei doch als Vorreiter. Aber lassen sich Lösungen aus dem Nachbarland überhaupt auf Deutschland übertragen?
Dänemark ist ein Leuchtturm bei der Digitalisierung.

Dänemark ist ein Leuchtturm bei der Digitalisierung.

(Bildquelle: juhumbert/adobe.stock.com)

Während in Deutschland die Verwaltungsdigitalisierung nur langsam vorankommt, setzen sich Estland und die skandinavischen Länder als Vorreiter immer weiter ab. Daher richtet sich der Blick aus Deutschland verstärkt auf diese Länder, in der Hoffnung von den dortigen Erfolgen lernen zu können; insbesondere mit dem Nachbarland Dänemark steht Deutschland im engen Erfahrungsaustausch. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der dänischen und der deutschen E-Government-Strategie bestehen und inwiefern der Blick in die Ferne die Verwaltungsdigitalisierung vor Ort tatsächlich positiv anstoßen kann.
Diesen Fragen geht die Kurzstudie „Nationale E-Government-Strategien: Deutschland und Dänemark im Vergleich“ des Nationalen E-Government Kompetenzzen­trums (NEGZ) nach. In der Studie werden die Nationale E-Government-Strategie Deutschlands und die dänische Strategie „A stronger and more secure digital Denmark“ als jeweils richtungsweisende und politikbestimmende Rahmenwerke analysiert und verglichen – sowohl mit Blick auf formale als auch auf inhaltliche Aspekte. Hieraus ergeben sich spannende Einblicke in Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Strategien und somit in die länderspezifischen Perspektiven auf die Verwaltungsdigitalisierung.

Historisch gewachsenes Verständnis von Digitalisierung

Bereits der formale Vergleich der Strategien zeigt, dass in Dänemark die Digitalisierung unter anderen Bedingungen diskutiert wird als in Deutschland. So ist die dänische Strategie für die Jahre 2016 bis 2020 die bislang letzte in einer Reihe von Strategien, die bis ins Jahr 2001 zurückreichen. Sie ist damit Teil eines historisch gewachsenen Verständnisses von Digitalisierung, verweist auf deren Potenziale und baut auf bisherigen Erfolgen auf. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass in der dänischen Strategie häufig auf bereits existierende, zentrale Lösungen verwiesen wird, die für weitere Maßnahmen genutzt und weiterentwickelt werden können – weil sie sowohl in der Verwaltung als auch bei Unternehmen und Bürgern bereits als geltender Standard akzeptiert sind.
Zentrale Systeme, welche die Digitalisierung in Dänemark tragen, sind die NemID und NemLogin, digitale Identifikationsmöglichkeiten für Verwaltungsdienstleistungen, Finanztransaktionen und private Dienstleister, Digital Post, eine landesweit genutzte Lösung zur digitalen und rechtssicheren Kommunikation mit Behörden, Borger.dk, ein zentrales Portal, über das Verwaltungsdienstleistungen bezogen werden können und schließlich NemKonto, über das Zahlungen an und von Behörden abgewickelt werden können.

Hohe Akzeptanz der Digitalisierungsmaßnahmen

Demgegenüber fokussiert die Nationale E-Government Strategie Deutschlands als Fortschreibung der ursprünglichen Strategie aus dem Jahr 2010 stark den Status quo der Verwaltungsdigitalisierung und schafft erst den Rahmen und die notwendige Infrastruktur dafür, die in Dänemark bereits gegeben sind. Zentrale Lösungen, auf denen weitere Maßnahmen und Initiativen aufbauen könnten, fehlen in Deutschland bislang oder werden – wie die eID oder De-Mail – nicht flächendeckend genutzt.
Entsprechend unterscheidet sich die inhaltliche Ausrichtung beider Strategien. In Deutschland thematisiert sie insbesondere Strukturen der Verwaltung und Aspekte des Datenschutzes sowie der Datensicherheit. Damit richtet sie sich eher nach innen, an Behörden und Entscheidungsträger in den Verwaltungen – wenngleich auch die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen explizit als Adressaten der Strategie aufgeführt werden. Im Fokus steht jedoch die Schaffung der notwendigen Infrastruktur.
Die dänische Strategie richtet sich zwar ebenfalls mit konkreten Maßnahmen an die Verwaltungen, ist aber stärker nach außen orientiert und kann als Marketing-Instrument verstanden werden, das nicht allein über die teils weitreichenden Digitalisierungsmaßnahmen informiert, sondern insbesondere Akzeptanz für und Vertrauen in diese Maßnahmen aufbauen soll. Immer wieder wird deshalb in der dänischen Strategie auf den nationalen Kontext verwiesen, der sich durch ein besonders hohes Vertrauen der Bürger in die Verwaltung und in elektronisch angebotene Dienstleistungen und damit eine insgesamt hohe Akzeptanz für Digitalisierungsmaßnahmen auszeichnet. Entsprechend häufig werden die Vorteile der Verwaltungsdigitalisierung für Bürger und Unternehmen herausgestellt oder auf das gesteigerte Innovationspotenzial für die Wirtschaft verwiesen.
Die unterschiedliche Sichtweise auf das Thema Digitalisierung zeigt sich auch am Blick beider Länder auf den rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen Maßnahmen umgesetzt werden können. Während in Deutschland das Recht als Grundlage der E-Government-Strategie betrachtet wird und somit die vorgeschlagenen Maßnahmen bestimmt, wird der rechtliche Rahmen in Dänemark als etwas verstanden, das Digitalisierung ermöglichen und den vorgeschlagenen Maßnahmen angepasst werden sollte.

Was kann Deutschland von Dänemark lernen?

Was aber kann Deutschland bei so vielen Unterschieden noch von Dänemark lernen? Und wo müssen ganz eigene, neue Wege beschritten werden? Die offensichtlichen Unterschiede – etwa die Größe des Landes, die Kultur oder den Verwaltungsaufbau betreffend – ebenso wie weniger offensichtliche Unterschiede, die sich im Vergleich der Strategien beider Länder offenbaren, zeigen zwei Dinge deutlich: Zum einen sollten Entscheidungsträger, Verwaltungen und Regierungen den nationalen Kontext, in dem Digitalisierungsinitiativen stehen, stärker hervorheben und berücksichtigen. So verlockend der Blick gen Norden und in jüngster Zeit auch gen Osten ist, so schwierig ist es, Lösungen aus Dänemark oder – wie zuletzt von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gefordert – aus Estland auf Deutschland zu übertragen. Denn in der Analyse der dänischen Strategie wird deutlich, dass diese Länder ein anderes Grundverständnis von Digitalisierung, deren Zweck sowie vom Verhältnis zwischen Staat und Bürgern haben. Teilweise ist dies auch in der jeweiligen nationalen Kultur begründet und verankert. Lösungen, die für die eine Kultur und Gesellschaft funktional und praktikabel sind, müssen in einem anderen Kontext nicht zu vergleichbaren Ergebnissen führen.
Zum anderen zeigt sich, dass ein Austausch auf internationaler Ebene gerade zwischen Vorreitern und Nachzüglern dann fruchtbar und richtungsweisend sein kann, wenn dabei nicht nur Erfolge und Best Practices in den Blick genommen werden, sondern auch Worst Practices. Denn längst nicht jedes Vorhaben lässt sich erfolgreich umsetzen. Mit Blick auf die lange Historie der Verwaltungsdigitalisierung in Dänemark ließen sich durchaus nützliche Erkenntnisse gewinnen. Versuche, mit denen das Land gescheitert ist, könnten die Digitalisierung in Deutschland inspirieren, ohne sie als Blaupause zu begreifen.

Bettina Distel ist Research Associate beim ERCIS – European Research Center for Information Systems an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.




Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
Ansicht einer ländlichen Gemeinde aus der Vogelperspektive.
bericht

Niedersachsen: Initiative für Kommunen

[05.12.2024] Von der Bestandsaufnahme bis zur Umsetzung von Maßnahmen unterstützt die Initiative Digitale Kommune Niedersachsen Verwaltungen bei ihrem Transformationsprozess. Das vom Land initiierte Projekt soll außerdem die Herausforderungen in der Praxis offenlegen. mehr...

Porträtfoto von Dr. Denis Alt.
interview

Rheinland-Pfalz: Erfolg durch Kooperation

[18.11.2024] Der digitale Wandel dient den Menschen, sagt Staatssekretär Denis Alt. Im Interview mit Kommune21 spricht der neue rheinland-pfälzische CIO und CDO über die Umsetzung der Digitalstrategie des Landes. mehr...

Melitta Kühnlein

Potsdam: Fachbereichsleiterin für E-Government bestätigt

[12.11.2024] Potsdams Stadtverordnete haben Melitta Kühnlein als neue Leiterin des Fachbereichs E-Government bestätigt. Kühnlein ist seit Anfang 2021 in leitender Funktion im IT-Bereich der Stadtverwaltung tätig. mehr...

Baden-Württemberg: Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet

[11.11.2024] Der Landtag von Baden-Württemberg hat jetzt eine Änderung der Gemeindeordnung verabschiedet, die Kommunen in administrativen Abläufen entlastet und die finanzielle Berichterstattung vereinfacht. mehr...

Blick vom See auf das neue Rathaus Hannover, HMTG

Hannover: Fonds für digitalen Fortschritt

[30.10.2024] Hannover setzt mit einem 48-Millionen-Euro-Digitalisierungsfonds auf die umfassende Modernisierung seiner Verwaltungsprozesse. Ziel ist ein digitales Rathaus, das Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen effiziente, benutzerfreundliche Services bietet. Die IT-Strategie umfasst dazu digitale Souveränität und Kosteneffizienz. mehr...

Digitalisierung: Dresdner Forderungen 2.0

[22.10.2024] Die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik hat 20 Thesen zum digitalen Wandel formuliert. Die Forderungen zielen darauf ab, die Verwaltung effizienter, zukunftssicherer und bürgerfreundlicher zu machen. mehr...

bericht

Liechtenstein: Mit Pragmatismus und Agilität

[14.10.2024] Liechtenstein hat auf dem Weg zum Smart Country bereits eine beeindruckende Entwicklung zurückgelegt. Das ist nicht zuletzt vielen mutigen Entscheidungen und einer gehörigen Portion Pragmatismus geschuldet. mehr...

Holger Klötzner, Dezernent für Digitalisierung und Bildung der Stadt Darmstadt; Maral Koohestanian, Leiterin des Dezernats für Smart City, Europa und Ordnung der Stadt Wiesbaden; Eileen O’Sullivan, Dezernentin für Bürger:innen, Digitales und Internationales der Stadt Frankfurt am Main
interview

Smartes Rhein Main 2030: Gemeinsame Vision

[02.10.2024] Eine gemeinsame Vision für ein smartes Rhein-Main-Gebiet haben die Städte Frankfurt am Main, Wiesbaden und Darmstadt erarbeitet. Im Interview erklären die CIOs Eileen O’Sullivan, Maral Koohestanian und Holger Klötzner, was konkret geplant ist. mehr...

Landrat Achim Brötel ist neuer Präsident des Deutschen Landkreistages.

Deutscher Landkreistag: Achim Brötel ist neuer Präsident

[11.09.2024] Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat einen neuen Präsidenten gewählt: Achim Brötel, Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises, tritt die Nachfolge von Reinhard Sager an, der das Amt zuvor zehn Jahre lang innehatte. mehr...

Charta Digitale Ethik setzt die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Essener Stadtverwaltung.

Essen: Charta Digitale Ethik verabschiedet

[04.09.2024] In ihrer Charta Digitale Ethik hat die Stadt Essen die Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Technologien in der Stadtverwaltung festgelegt. Das soll insbesondere für einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz sorgen. mehr...

Scheckübergabe an die Gewinner des Wettbewerbs um den Ulmer Lederhof.

Ulm: Innovationsmotor gestartet

[23.08.2024] Um ihre Digitale Agenda mit kreativen Köpfen aus der Region umzusetzen, hat die Stadt Ulm den Innovationsmotor gestartet – einen Ideenwettbewerb insbesondere für junge Unternehmen. Runde eins hat der digitale Begleiter für Angsträume gewonnen. mehr...

Markt Postbauer-Heng: Digitalisierung ist kein Privileg der Metropolen

[08.08.2024] Auch kleine Kommunen sind in der Lage, bürgernahe digitale Lösungen zu implementieren, wie das Beispiel des Marktes Postbauer-Heng zeigt. Um die Entstehung digitaler Insellösungen zu vermeiden, wurde die Zukunftskommission #Digitales Bayern 5.0 ins Leben gerufen. mehr...

Kick-off zur Digitalisierungsstrategie der Stadt Petershagen
.

Petershagen: Mit OWL-IT in die digitale Zukunft

[02.08.2024] Gemeinsam mit dem IT-Dienstleister OWL-IT hat die Stadt Petershagen nun den Startschuss für die Erarbeitung einer umfassenden Digitalstrategie gegeben. mehr...

In Bayern soll nach dem Willen von Digitalminister Fabian Mehring der „Digitalisierungsturbo“ gezündet werden.

Bayern: Land unterstützt Digitalisierung der Kommunen

[16.07.2024] Bayerns Digitalminister sieht die konsequente Digitalisierung der Verwaltung als wichtige Möglichkeit, um den künftigen Ruhestand der Babyboomer-Generation und den dadurch entstehenden Fachkräftemangel zu kompensieren. Es gelte, die Potenziale von Standardisierung, Zentralisierung und KI zu nutzen. mehr...

Essen-CDO Peter Adelskamp

Interview: Wir brauchen eine Dachmarke

[15.07.2024] Peter Adelskamp ist Chief Digital Officer (CDO) in Essen und dort zugleich Fachbereichsleiter Digitale Verwaltung. Im Gespräch mit Kommune21 berichtet er von seiner Arbeit in Essen und dem dortigen Stand der Digitalisierung. mehr...