Dienstag, 12. November 2024

InterviewWir brauchen eine Dachmarke

[15.07.2024] Peter Adelskamp ist Chief Digital Officer (CDO) in Essen und dort zugleich Fachbereichsleiter Digitale Verwaltung. Im Gespräch mit Kommune21 berichtet er von seiner Arbeit in Essen und dem dortigen Stand der Digitalisierung.
Essen-CDO Peter Adelskamp

Essen-CDO Peter Adelskamp

(Bildquelle: Katharina Kus)

Herr Adelskamp, Sie gehören zu den frühen CDOs in Deutschland, waren zuerst in Düsseldorf und sind nun in Essen tätig. Worin unterscheidet sich die Arbeit?

Mein Schwerpunkt in Essen liegt auf der Verwaltungsdigitalisierung, weil wir da einen besonderen Nachholbedarf hatten. Als CDO hat man neben gesamtstädtischen strategischen Themen kein angestammtes Aufgabengebiet, sondern ist meist mit Fragestellungen befasst, die in anderer Zuständigkeit liegen. Insofern muss man mit den Kolleginnen und Kollegen zusammen definieren, was man bewirken will und wie es umgesetzt werden kann. In Düsseldorf war ich beim Oberbürgermeister angedockt, relativ weit weg vom Verwaltungsvorstand. Hier in Essen bin ich nun bei der Beigeordneten für Personal und Digitalisierung, sitze jeden Dienstag als Gast im Verwaltungsvorstand und kann ihn direkt beraten. Ich habe einen ganz anderen Zugang zur Beigeordneten-Ebene und damit auch eine andere Wirksamkeit.

Wie groß ist Ihr Team in Essen?

Ich habe zwei Hüte auf. Gestartet bin ich als CDO, im Laufe der Zeit kam eine zweite Funktion als Fachbereichsleiter Digitale Verwaltung hinzu. Wir sind mittlerweile knapp 30 Leute, die sich um IT-Steuerung und Informationssicherheit kümmern. Dazu gehören auch zehn digitale Manager, die als Berater und Unterstützer der Fachbereiche dienen. Es kümmern sich sechs Personen ausschließlich um das Thema Online-Dienste. Und zusätzlich haben wir dezentral im vergangenen Jahr 100 digitale Lotsen eingeführt, die in den Fachbereichen arbeiten und mit uns ein Netzwerk bilden.

Wie sieht es mit der Schnittstelle zur Ebene der Sachbearbeitung aus?

Für mich haben sich im Laufe der Zeit zwei Grundsätze gezeigt: Zum einen muss bei der Digitalisierung darauf geachtet werden, dass man einheitliche gesamtstädtische Lösungen beschafft. Das geschah in der Vergangenheit zu wenig, und wir ändern das gerade. Wenn ein Fachbereich nicht mitmachen will, erhält er auch nichts anderes. Zudem muss man vor der Einführung von Software mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Fachbereichen reden, um zu erfahren, was sie davon halten und ob es ihren Anforderungen entspricht. Wir führen monatlich eine digitale Sprechstunde durch. Das kommt sehr gut an, und ist für uns ein wichtiger, niedrigschwelliger Austausch.

Was macht einen guten CDO aus?

Ein CDO muss gestalten können und den Rückhalt haben, Veränderungen in der Verwaltung anzustoßen und umzusetzen. Das erfordert Unterstützung durch die oberste Leitungsebene, den Verwaltungsvorstand. Bei der digitalen Transformation darf man kein Brecheisen einsetzen, denn man benötigt Zustimmung und Akzeptanz. Wenn Fachbereichsleitungen und Beschäftigte Mehrwerte nicht erkennen, dann werden sie die Veränderungen auch nicht mittragen. Daher bin ich als CDO darauf angewiesen, dass alle mitziehen. Das funktioniert nur, wenn man Lösungen bereitstellt, welche die Fachbereiche wirklich unterstützen und entlasten. Wenn man den Job richtig gut macht, wird die Funktion des CDO dann irgendwann nicht mehr benötigt.

„Bei der digitalen Transformation darf man kein Brecheisen einsetzen, man benötigt Zustimmung und Akzeptanz.“
Wie weit ist die Verwaltungsdigitalisierung in Essen fortgeschritten?

Ja, das ist interessant. Der Bitkom-Index hatte uns bescheinigt, dass wir bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) mit 1,2 von 100 möglichen Punkten zu den schlimmsten Kommunen in Deutschland gehören. Das passte aber gar nicht zu unserer eigenen Wahrnehmung. Bei uns machen drei Leute nichts anderes als Formularbau und zwei weitere übernehmen die OZG-Koordination. Wir haben in den vergangenen anderthalb Jahren ein Prozessregister eingeführt, mit über 1.000 Steckbriefen von OZG-Prozessen, die wir nach und nach angehen. Wir haben viele neue digitale Dienste gebaut und richtig investiert, weswegen die Bewertung nicht stimmen konnte. Als wir anfingen zu recherchieren, stellten wir fest, dass unser Serviceportal eine technische Macke hatte und nicht korrekt an die Verwaltungssuchmaschinen des Landes Nordrhein-Westfalen geliefert hat. Dort gab es dann wiederum Probleme in der Kommunikation mit der Bundessuchmaschine, die an das OZG-Dashboard des Bundes liefert. So kam das schlechte Bitkom-Ergebnis zustande. Wenn Sie heute auf das Dashboard schauen, gibt es in NRW zwei orangefarbene Kreise, die führend sind, nämlich Hamm und Essen.

Welche Skaleneffekte können bei der Bearbeitung von Verwaltungsdienstleistungen durch eine effiziente Digitalisierung entstehen?

Wir brauchen Digitalisierung um Freiraum für die Beschäftigten zu schaffen, während Kommunen immer mehr Aufgaben übertragen bekommen. Leider haben wir keine Kennzahlen dafür, welche digitalen Antragsstrecken auf welche Weise angenommen werden. Tatsächlich denken wir gerade über technische Änderungen an unserem Formular-Server nach. Das System, das wir im Moment einsetzen, ermöglicht keine statistische Auswertung. Ich kann also nicht sagen, wie oft ein bestimmtes Formular aufgerufen wird. Entsprechend kann ich auch nicht sagen, wo sich mehr Investitionen und noch mehr Digitalisierung lohnen.

Wie sieht es in Essen mit Einer-für-Alle(EfA)-Diensten aus?

Man glaubt ja häufig, dass jede EfA-Leistung überall in Deutschland genutzt werden kann. Dem ist leider nicht so. Durch die rechtliche Konstruktion können wir in Nordrhein-Westfalen nur das nutzen, was uns von d-NRW über die Inhouse-Vergabe bereitgestellt wird. Beispielsweise wurde i-Kfz überall als EfA-Leistung angeboten, bloß nicht in NRW, weil hier von 83 Kfz-Zulassungsstellen 80 am AKDB-Verfahren hängen und kein Interesse an einer Änderung haben. Es ist alles etwas uneinheitlich, und wir würden uns mehr Unterstützung wünschen. In Schleswig-Holstein etwa stehen den Kommunen zu vielen Verwaltungsprozessen kostenfrei zentral betriebene Angebote zur Verfügung. Das hilft gerade kleinen und mittleren Kommunen. So kriegt man nach und nach zumindest landesweit eine Vereinheitlichung und Standardisierung hin.

Also ist der Einer-für-Alle-Gedanke eine gute Lösung?

Ja, aber je mehr EfA-Leistungen es gibt, desto unterschiedlicher sehen alle Internet-Seiten aus. Die Menschen wissen dann immer weniger, wo sie eigentlich sind. Bin ich noch bei der Stadt Essen oder bin ich jetzt in Schleswig-Holstein bei Dataport? Ist das überhaupt noch Behörde oder bin ich gerade auf einen Fake hereingefallen? Das ist ein echtes Problem, und es ist erforderlich, dass wir bei öffentlichen Leistungen im OZG-Kontext zumindest eine Art Dachmarke generieren mit einheitlichen Farben und Logos, sodass sich bei Absprungpunkten im Antragsprozess, wenn zu anderen Behörden gewechselt wird, das Layout nicht komplett verändert. Dazu gab es einen konkreten Vorschlag im IT-Planungsrat, dem aber nicht alle Bundesländer zugestimmt haben. Für die Bürgerinnen und Bürger wäre es besser, wenn man die Leistungen des Staats einheitlicher wahrnimmt. Das stärkt auch das Vertrauen in die Handlungs­fähigkeit des Staates und letztlich die demokratischen Prozesse und Systeme.

Interview: Helmut Merschmann




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