InterviewEher Marathon als Sprint

Annabelle Brandes, Beigeordnete für Digitalisierung der Stadt Essen
(Bildquelle: Moritz Leick, Stadt Essen)
Frau Brandes, die Stadt Essen hat den Geschäftsbereich für Personal, Allgemeine Verwaltung und Digitalisierung neu geschaffen und Sie zu dessen Vorsitzender berufen (wir berichteten). Was waren die Gründe für die Neuausrichtung? Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Die Arbeitgeber müssen umdenken, um in Zeiten des demografischen Wandels sowie des Fachkräftemangels noch ausreichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und diese auch zu binden. Denn der so genannte War for Talents, also das Buhlen um die besten Leute, hat längst begonnen. Ebenso haben die Anforderungen und die Komplexität in Bezug auf die Digitalisierung in der Verwaltung zugenommen. Auch hier müssen wir am Ball bleiben und unsere Prozesse entsprechend überprüfen und ausrichten. Das Ganze ist aber kein Sprint, sondern eher ein Marathon und wir stehen erst am Start. Das hat die Stadtverwaltung Essen erkannt und den Themen durch die Herausstellung und Zusammenlegung in einem eigenen Geschäftsbereich die entsprechende Bedeutung zugemessen. Welche Ziele haben Sie sich gesetzt? Ich wünsche mir, dass der öffentliche Dienst zum Vorreiter einer modernen, an den Bedürfnissen der Menschen orientierten digitalen Arbeitswelt wird. Nach meiner Vorstellung sind Stadtverwaltungen demnach fortschrittliche und agile Dienstleisterinnen, die flexibel auf neue Bedarfe reagieren. Sie sind geprägt durch die effiziente Vernetzung der Fachbereiche über Organisationsgrenzen hinweg, mehr Beteiligung und frühzeitige Einbindung relevanter Akteure, zielführende Arbeitsstrukturen, neue Räume für Zusammenarbeit, schnelle Zielanpassung und Ressourcensteuerung sowie hochqualifiziertes und -motiviertes Personal. Die Stadt von morgen ist attraktive Arbeitgeberin, technisch und methodisch am Puls der Zeit, baut auf effiziente interne Organisationsstrukturen und begeistert mit zukunftsfähigen Arbeitsbedingungen Beschäftigte langfristig für die Verwaltung. Sie ist zudem der Fels in der Brandung in puncto Daseinsvorsorge für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen. Dazu braucht sie resiliente Binnenstrukturen. Um die skizzierte Vorstellung für die Stadtverwaltung Essen umzusetzen, wird es also Zeit, einen großen Schritt in Richtung Zukunft zu machen. Dafür brenne ich und werde täglich, im Rahmen meines Einflussbereiches, alles geben. Wie ist die Stadt Essen im Bereich Digitalisierung aufgestellt? Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenziale? Um die richtigen Schwerpunkte im Bereich der Digitalisierung zu setzen, haben wir eine Digitalstrategie aufgesetzt, die im Februar 2023 einstimmig im Stadtrat verabschiedet wurde. Darin beschreiben wir fünf Handlungsfelder, die uns bei der Digitalisierung besonders wichtig sind und die wir mit Priorität angehen; so unter anderem ein nutzungsfreundlicher digitaler Verwaltungsservice für Bürgerinnen, Bürger, Unternehmen und Mitarbeitende, der Anspruch, eine moderne und attraktive Arbeitgeberin mit zeitgemäßen Arbeitsbedingungen zu sein, sowie ein offenes, datenbasiertes und transparentes Verwaltungshandeln. Hinsichtlich der Geschwindigkeit bei der Umsetzung von digitalen Leistungen und Angeboten können wir uns noch verbessern. Welches sind die größten Stolpersteine, welche die Verwaltungsmodernisierung behindern? Lange Zeit wurden die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer Vorsprache bei einem Amt erledigt. Entsprechend hat sich auch die Verwaltung organisiert. Durch die zunehmende Digitalisierung, die Aufgabenteilung, die Nutzung vor- und nachgelagerter Prozesse und Schwerpunktthemen wie Nachhaltigkeit und Nutzerzentrierung entwickeln wir uns immer stärker zu einer Netzwerkkommune. Die Verbindungen innerhalb der Verwaltung und nach außen nehmen zu. Unsere Geschäftsprozesse verändern sich und mit ihnen die Art, wie wir arbeiten. Das OZG hat schon einiges bewegt; es hatte seinen Fokus jedoch auf elektronischen Anträgen, nicht auf digitalen Prozessen. Ich setze mich in den Gremien, in denen ich die Stadt Essen vertrete, dafür ein, dass digitale Prozesse Ende-zu-Ende umgesetzt werden – ohne Medienbrüche; und auch dafür, dass Aufgaben kritisch hinterfragt werden. „Es wird Zeit, einen großen Schritt in Richtung Zukunft zu machen.“ Wie könnte der Bund die Kommunen entlasten? Die Konzentration auf unsere Kernkompetenz fiele leichter, wenn uns der Bund die Werkzeuge für die Aufgaben geben würde, die er uns übertragen hat, zum Beispiel bei der Fahrzeugzulassung. Das müssen beziehungsweise sollten die rund 400 Zulassungsstellen in Deutschland nicht immer wieder neu für sich erfinden und Software beschaffen. Gleiches gilt für das Thema Datenschutz: Wenn eine Einer-für-Alle-Leistung bereitgestellt wird, prüfen alle nachnutzenden Kommunen für sich noch einmal, ob dem Datenschutz Genüge getan wurde und kommen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wir prüfen die gleichen Sachverhalte immer wieder. Und da wundern wir uns, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht verstehen, warum wir in jeder Kommune ein und dieselbe Leistung anders umsetzen. Bevor Sie nach Essen kamen, waren Sie unter anderem als Personalreferentin im Bereich Personalpolitik bei der Bundesagentur für Arbeit tätig. Was kann getan werden, um die öffentliche Hand als Arbeitgeberin attraktiver zu machen? Es liegt an uns, das Image des öffentlichen Dienstes zu verbessern und uns zeitgerecht aufzustellen. Dazu gehört zum einen, wettbewerbsfähige Gehälter und Vergütungen anzubieten, die mit denen des privaten Sektors vergleichbar sind. Darüber hinaus ist es wichtig, den Mitarbeitenden Karrieremöglichkeiten und Entwicklungsperspektiven in Aussicht zu stellen sowie flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten. Ein modernes und attraktives Arbeitsumfeld, das mit den neuesten Technologien und Arbeitsmitteln ausgestattet ist, trägt ebenfalls zur Attraktivitätssteigerung bei. Im Kern geht es jedoch immer auch um das Miteinander. So stellen eine moderne und positive Unternehmens- und Führungskultur, eine gute Arbeitsatmosphäre, Kollegialität über Hierarchien hinweg und gute Arbeitsbedingungen wichtige Weichen dafür, dass Beschäftigte sich wohlfühlen. Und: Je größer das Maß der Digitalisierung in einer Organisation ist, desto mehr Aufmerksamkeit braucht der Mensch. Was könnte getan werden, um die Zahl der Frauen in Führungspositionen zu erhöhen? Problematisch ist oftmals der Frauenanteil in den höheren Führungsebenen. Hier gilt es, Frauen zu bestärken, zu ermutigen und auch direkt anzusprechen, damit sie sich für solche Jobs bewerben. Zudem bin ich ein großer Fan von Jobsharing – auch in Führungspositionen – und mache mich mit konkreten Ideen und Maßnahmen für das Thema stark. Von der Frauenquote bin ich hingegen kein Fan. Denn keine Frau möchte im Vorstand eines Unternehmens sitzen oder eine Stelle bekommen, nur weil ein Arbeitgeber eine verbindliche Quote umsetzt. Frauen wollen ebenso wie Männer aufgrund ihrer Leistung beurteilt werden. Und da brauchen Frauen sich nicht zu verstecken.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Juli 2023 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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