Freudenberg / WilnsdorfEiner für den anderen
Auf Gemeinde- und Kreisebene ist der Gürtel längst enger geschnallt, der Mut zu radikalen Veränderungen ist trotzdem oftmals nicht vorhanden. Nicht selten liegt es am fehlenden Druck seitens Politik und Aufsichtsbehörden oder schlicht an der Angst vor sich wandelnden Aufgabenbereichen, schrumpfenden Personalbeständen oder dem persönlichen Bedeutungsverlust. Welcher Kämmerer lässt angesichts drohender Widerstände nicht lieber die Finger von Eingriffen und plant stattdessen mit den letzten Geldreserven. Doch der teils reine Selbsterhaltungstrieb kann sich der widersinnigen Redundanz nicht verschließen: Selbst Städte unter 30.000 Einwohnern verfügen über eine komplette In-House-Infrastruktur samt Finanz- und Personalwesen – angesichts strenger Sparkurse eine reine Luxusausstattung.
Ähnlich dachten auch die Stadtoberhäupter von Freudenberg und Wilnsdorf im nordrhein-westfälischen Kreis Siegen-Wittgenstein. Sie beleuchteten zunächst die laufenden Kosten ihrer Finanz- und Personalprozesse und versuchten daraufhin, eine wirtschaftlichere und praktikablere Lösung zu finden.
Der Anfang der Zusammenarbeit
„Wir befanden uns an dem Punkt, eine Entscheidung treffen zu müssen, wie wir unsere Finanzbuchhaltung künftig personell ausstatten und mit Technik unterstützen“, erinnert sich Ulrich Berghof, Kämmerer der Gemeinde Wilnsdorf. Bisher hatte der rund 21.000 Einwohner zählende Ort mit einem Verbrauchsabrechnungssystem gearbeitet, das von der Kommunalen Datenzentrale Westfalen-Süd – kurz KDZ – zur Verfügung gestellt wurde. Da die KDZ für 2014 ein sehr kostspieliges Nachfolgeprodukt eines anderen Anbieters angekündigt hatte, bemühten sich die Verwaltungsmitarbeiter um eine Alternativtechnologie. „Uns kam zugute, dass wir schon seit Längerem mit der Stadt Freudenberg zu unterschiedlichen Themen im Gespräch waren. So hatten wir etwa vor einigen Jahren dringend notwendige Schulungen angestoßen, die ohne unsere gemeinsame Initiative nicht hätten angeboten werden können“, so Berghof weiter. Diese positive Erfahrung legte den Grundstein dafür, konkretere Möglichkeiten der interkommunalen Zusammenarbeit zu suchen. Bei dem von Freudenberg genutzten Finanzbuchhaltungssystem wurde die Kommune fündig. Das knapp 19.000 Einwohner zählende Freudenberg hatte zu Jahresbeginn 2009 die Software KIRP Serie 8 der Firma UNIT4 samt dem Modul Kommunale Abrechnung eingeführt. Diese erwies sich nicht nur als erheblich günstiger als das KDZ-Angebot, sondern würde sich auch reibungslos in die Infrastruktur der Gemeinde Wilnsdorf integrieren lassen.
Verzahnung der Buchhaltungen
Da die Personaldecke im Wilnsdorfer Finanzbereich durch Altersteilzeit mittelfristig schrumpfen würde, entschieden die Stadträte beiderseits, ein Dienstleistungsverhältnis einzugehen. „Wir rechnen fest damit, dass der wirtschaftliche Druck besonders auf die eher ländlichen Gebiete weiter steigen wird und demografische Entwicklungen wie Abwanderung und Pensionierung einen Mangel an geeigneten Fachkräften verursachen“, fasst Jörg Schrader, Kämmerer der Stadt Freudenberg, die Gründe für die Verzahnung der beiden Buchhaltungen zusammen. „Für uns lag daher auf der Hand, die personellen Gegebenheiten unserer Rathäuser genauer unter die Lupe zu nehmen und zu evaluieren, in welchen Bereichen wir kooperieren können.“ Eine Vermischung der Belegschaft stand außer Frage, da über kurz oder lang Reibungen entstehen oder sich Mitarbeiter eventuellen Missständen ergeben könnten. Somit fiel die Entscheidung, Know-how auf jeweils einer Seite aufzubauen und zu bündeln, um sich dann gegenseitig als kompetenter Dienstleister unterstützen zu können.
Risikoübertragung nennt es Schrader vielsagend. Denn zum 1. Januar 2012 hat sein Finanz-Team im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung die Finanzbuchhaltung inklusive Zahlungsabwicklung sowie Mahnung und Vollstreckung für die Wilnsdorfer übernommen und trägt damit für jede Buchung die Verantwortung. Zuvor wurden die Benutzeroberfläche des UNIT4-Programms in Wilnsdorf eingeführt und die Mitarbeiter auf die neuen Abläufe und Freigabeprozesse vorbereitet. Alle Buchungsvorgänge können von den dortigen Verantwortlichen eingesehen, bestätigt oder abgelehnt werden. Außerdem haben sie die Möglichkeit, Notizen hinzuzufügen. „Wir haben volle Transparenz über Zahlungsverläufe und den Status quo unserer Haushaltsführung. Denn die Rechnungsprüfung und die Verantwortung für die Ergebnisse obliegen weiterhin uns“, erklärt der Kämmerer der Gemeinde Wilnsdorf, Ulrich Berghof.
Weniger Kosten bei höherem Qualitätsniveau
Vor der Vertragsunterzeichnung hatten die Kämmerer beider Kommunen detaillierte Wirtschaftlichkeitsberechnungen für ihren Standort erstellt und veröffentlicht. Für Wilnsdorf zeigte sich, dass die Aufgabenerledigung durch die Freudenberger Kollegen anfänglich einen kleineren fünfstelligen Betrag und ab 2014 sogar hohe fünfstellige Summen jährlich einsparen würde. Für Freudenberg ergaben sich ab 2014 hochgerechnet sogar Einsparungen im unteren sechsstelligen Bereich.
Mit der Entscheidung für ein Dienstleistungsverhältnis auf Basis von KIRP Serie 8 kalkulieren die Kommunen mit Ersparnissen, die sie in Bürgerservice und Kernaufgaben investieren oder für die ebenfalls dringend erforderliche Haushaltskonsolidierung nutzen können. „Uns ist besonders wichtig, dass wir mit dem Dienstleistungsmodell nicht nur die Aufgabenerledigung gewährleisten, sondern durch die komplett elektronische Abwicklung auch ihr Qualitätsniveau heben“, erläutert Berghof. „Zudem können wir so künftig auf aktuelle Erfordernisse wie flexible Arbeitszeiten, Home Office und verdichtete Leistungen eingehen.“ Ein weiterer Vorteil für Wilnsdorf liegt in der flexibleren Kündigungsregelung des neuen Partners: Nach einer Einführungsphase von fünf Jahren, die den Freudenbergern den nötigen Investitionsschutz bietet, lässt sich die Dienstleistung jährlich kündigen. Somit hat der Leistungsnehmer Jahr für Jahr die Chance, die interkommunale Zusammenarbeit auf ihre Wirtschaftlichkeit hin zu prüfen und gegebenenfalls neu zu regulieren. Dem Leistungsträger wiederum dient dies als Ansporn, die Prozesse so wirtschaftlich und effizient wie möglich zu gestalten, damit der Service für den anderen attraktiv bleibt.
Die Kooperation wird ausgebaut
Interkommunale Zusammenarbeit verstehen die Beteiligten allerdings nicht als Einbahnstraße: In Freudenberg steht in wenigen Jahren durch altersbedingte Abgänge in der Personalverwaltung ein Mitarbeiterengpass an, der aufgrund des aktuellen Nothaushalts nicht aufgefangen werden kann. In Wilnsdorf wird daher die Abteilung in Expertise und Größe so aufgebaut, dass sie die Aufgaben der Nachbarkommune mit übernehmen kann. Über die damit erreichte kritische Masse lässt sich die Vertretung in Urlaubs- oder Krankheitsfällen jederzeit sicherstellen.
Langfristig planen die Verantwortlichen, die Regelung und Kosten der Hintergrundabläufe beider Kommunen umfassender zu evaluieren sowie Prozesse zu optimieren und zusammenzulegen. „Je flexibler und gleichzeitig wirtschaftlicher wir mit gegenseitiger Hilfe werden, um so attraktiver sind wir für finanzstarke Gewerbesteuerzahler und junge Familien“, fasst Freudenbergs Kämmerer Jörg Schrader zusammen. Sein Wilnsdorfer Kollege Ulrich Berghof ergänzt: „Wir können andere Kommunen nur darin bestärken, bestehende Hemmschwellen abzubauen und althergebrachte Abläufe gemeinsam zu verändern. Die Kommunen sollten sich zwar in puncto Wirtschaftlichkeit an der freien Marktwirtschaft orientieren, aber nicht das gleiche Konkurrenzdenken leben. Denn sonst stehen wir uns selbst im Weg.“
Podcast: Deutschland-Index 2025 zum Hören
[05.09.2025] Welche Entwicklungen lassen sich bei digitaler Infrastruktur, Nutzungsverhalten und Verwaltungsdigitalisierung in den bundesdeutschen Ländern beobachten? Der ÖFIT-Podcast bereitet aktuelle Zahlen zu diesen und anderen Fragen ohrenfreundlich auf. mehr...
Kreis Kassel: Digitaler Service für Jäger
[15.08.2025] Die sogenannte Digitale Wildmarke erleichtert Jägern im Kreis Kassel jetzt die vorgeschriebene Abgabe von Trichinenproben. Gekühlte Briefkästen und ein App-gestütztes Verfahren verbessern nicht nur den Service für die Jäger, sondern stärken auch die Früherkennung von Tierseuchen. mehr...
Bonn: Modellkommune für Verwaltungsmodernisierung
[14.08.2025] Die Bundesstadt Bonn will sich als Modellkommune der Initiative „Für einen handlungsfähigen Staat“ bewerben. Ziel ist es, innovative Verwaltungsansätze zu erproben, Verfahren zu beschleunigen und Bürokratie abzubauen – im Rahmen demokratischer Prozesse. mehr...
München/Schleswig-Holstein: Gemeinsam für gute Nutzererlebnisse
[04.08.2025] Im Projekt KERN setzen München und Verwaltungscloud.SH künftig gemeinsam Impulse: Sie übernehmen die Federführung für eine neue Technologieanbindung und stärken so die Entwicklung eines länderübergreifenden UX-Standards für die Verwaltung. mehr...
KGSt: Kooperation mit der DUV vereinbart
[24.07.2025] Um das kommunale Management weiter zu stärken, haben die KGSt und die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften (DUV) Speyer eine Kooperation geschlossen. mehr...
Fraunhofer IESE: Digitale Dörfer werden Smartes Land
[16.07.2025] Das Fraunhofer-Institut IESE, die Deutsche Assistance und die Versicherungskammer Bayern haben die Smartes Land GmbH gegründet. Damit werden die Plattformlösungen DorfFunk und BayernFunk aus dem Forschungsprojekt „Digitale Dörfer“ in den dauerhaften Betrieb überführt und unter einem gemeinsamen Dach weiterentwickelt und betrieben. mehr...
Studie: Viele fühlen sich digital abgehängt
[03.07.2025] Eine repräsentative Studie anlässlich des Digitaltags zeigt, dass in Deutschland zwar eine große Offenheit gegenüber digitalen Angeboten besteht, viele Menschen sich aber digital abgehängt fühlen und ihre eigenen Digitalkompetenzen eher schlecht bewerten. mehr...
In eigener Sache: K21 media zieht um
[01.07.2025] Seit 2001 versorgen die Publikationen von K21 media Kommunen, Entscheider auf Landes- und Bundesebene sowie Stadtwerke mit aktuellen und umfassenden Informationen zu relevanten Themen. Nun schlägt der Verlag sein Hauptquartier in der Landeshauptstadt Stuttgart auf. mehr...
Studie: Digitale Verwaltungservices für Unternehmen
[01.07.2025] Digitale Verwaltungsangebote für Unternehmen haben ein großes Potenzial, das noch bei Weitem nicht ausgeschöpft wird. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des Unternehmens init. mehr...
Studie: Digitalisierungsindex 2025 veröffentlicht
[26.06.2025] Im Rahmen des Zukunftskongresses Staat & Verwaltung (23. bis 25. Juni, Berlin) hat das Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) am Fraunhofer-Institut FOKUS den Deutschland-Index der Digitalisierung 2025 vorgestellt. Demnach schreitet die Digitalisierung zwar in vielen Bereichen voran, jedoch bestehen zwischen den einzelnen Bundesländern weiterhin erhebliche Unterschiede. mehr...
Umfrage: IT-Budgets zu eng bemessen
[24.06.2025] Ihr Jahresbudget halten weniger als 18 Prozent der IT-Fachkräfte im öffentlichen Sektor für ausreichend. Das zeigt eine weltweite Umfrage von SolarWinds unter rund 100 Fachleuten. Viele sehen Projekte gefährdet und Budgetkürzungen als wachsendes Sicherheitsrisiko. mehr...
Gütersloh: Per QR-Code in die Vergangenheit
[16.06.2025] Im Rahmen des Projekts „Tritt in die Vergangenheit“ macht die Stadt Gütersloh Geschichte digital erlebbar. Dazu wurden QR-Codes über das gesamte Stadtgebiet verteilt. mehr...
Kreis Soest: Moderner Hochwasserschutz
[13.06.2025] Der Kreis Soest hat seine PegelApp erweitert. Nicht nur wird jetzt das gesamte Kreisgebiet mit rund 30 Pegelmesspunkten abgedeckt, auch neue Funktionen sind hinzugekommen. So sind jetzt Warnschwellen individuell festlegbar, zudem gibt die App konkrete Handlungsempfehlungen. mehr...
Nordrhein-Westfalen: Gewerbesteuerbescheid erfolgreich pilotiert
[13.06.2025] Der digitale Gewerbesteuerbescheid kann Prozesse in Unternehmen, bei Steuerberatern, Kommunen und der Steuerverwaltung vereinfachen. In Nordrhein-Westfalen sind die Kommunen nach einer erfolgreichen Pilotphase aufgefordert, die Einführung des Verfahrens – mit Unterstützung des Landes – voranzutreiben. mehr...
Dataport/SHLB: Nachhaltige Planung von Digitalprojekten
[10.06.2025] Kohlendioxid ist ein Hauptfaktor für den Treibhauseffekt – und fällt auch bei Nutzung digitaler Anwendungen an. Um die CO₂-Emissionen digitaler Projekte schon im Voraus kalkulieren und optimieren zu können, haben Dataport und die SHLB einen browserbasierten CO₂-Rechner entwickelt. mehr...