Digitale Zwillinge:
Stadtentwicklung trotz Fachkräftemangel


[7.7.2023] Ob Wohnraumbedarf oder Klimawandel – Städte und Gemeinden stehen vor großen Herausforderungen. Fotorealistische digitale Zwillinge machen wichtige Informationen auch technisch weniger versierten Planern und Entscheidern zugänglich. Die Vereinfachung von Prozessen beschleunigt die Entwicklung und wirkt Fachkräftemangel entgegen.

Digitale Zwillinge erleichtern nicht nur komplexe Planungs- und Entscheidungsprozesse, sondern können auch bei konkreten Bauprojekten Unterstützung bieten. Wohl die meisten Menschen wünschen sich qualitativ hochwertige Lebensräume, in denen es bezahlbaren Wohnraum und eine gute Infrastruktur mit Bildungs-, Kultur- und Freizeitangeboten gibt. Doch die Realität sieht vielerorts anders aus: Eine Studie des interdisziplinär forschenden Eduard Pestel Instituts und des Bauforschungsinstituts ARGE hat ergeben, dass aktuell deutschlandweit über 700.000 Wohnungen fehlen – das größte Wohnungsdefizit seit 20 Jahren. Diesen Mangel auszugleichen, ist alles andere als leicht. Die benötigten Rohstoffe sind knapp und kostspielig, darüber hinaus fehlt es in der Planung wie im Bau an Fachkräften. Deren Expertise ist aber essenziell, um die Lebensqualität in Städten und Gemeinden dauerhaft sicherzustellen – auch dann, wenn die Auswirkungen des voranschreitenden Klimawandels in neuen Risiken wie etwa Hitzewellen oder Überschwemmungen resultieren.
Städteplaner, Behörden und Bauunternehmen stehen deshalb vor der gemeinsamen Aufgabe, Lösungen zu finden, die zu den anstehenden Veränderungen passen und die Lebensqualität vor Ort erhalten. Um informiert zu entscheiden und effizient zu handeln, sind intelligente Technologien nicht mehr wegzudenken. Einer dieser smarten Ansätze sind digitale Zwillinge – virtuelle Dubletten der realen Welt, mit der sich physische Objekte wie Bäume oder unterirdische Leitungen ebenso abbilden lassen wie Prozesse, Wechselbeziehungen oder Verhaltensweisen. Solche auf Geo-Informationssystemen basierenden digitalen Zwillinge kommen bereits in vielen Städten zum Einsatz.

Komplexe Daten in Beziehung setzen

Alle wichtigen Faktoren wie Bodenbeschaffenheit, Versorgungsleitungen, Materialien und Wetter in einen gemeinsamen Kontext zu setzen und damit zu planen, ist unabdingbar, wenn sich Städte für die Zukunft rüsten wollen. Solche Faktoren entscheiden nicht nur maßgeblich darüber, ob Nachbarschaften bezahlbar sind, sondern spielen auch im Klimawandel eine wichtige Rolle. Das Umweltbundesamt geht beispielsweise davon aus, dass sich in Küstennähe die Anzahl extremer Niederschläge bereits im Jahr 2040 verdoppelt haben wird. Auch steigende Temperaturen werden zunehmend zum Problem, wenn versiegelte Oberflächen die Hitze über Nacht speichern und Wärmeinseln entstehen.
Mithilfe eines Digitale Zwillings lässt sich simulieren, wie sich solche Wetterextreme auf Städte und Gemeinden auswirken. Risikobereiche werden erkennbar und es ist möglich, Gegenmaßnahmen zu planen. Grünflächen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie wirken zum einen wie ein großer Schwamm, der Regen aufnimmt. Zum anderen helfen sie nachweislich dabei, die Umgebung abzukühlen.

Fachkräftemangel bremst Zukunftsentwicklung

Das Gute: Immer mehr Städte und Gemeinden investieren in Smart-City-Projekte, deren Ziel darin besteht, urbane Räume nachhaltiger, effizienter und sozial inklusiver zu gestalten. Seit 2019 beteiligt sich auch der Bund an dieser Entwicklung und will Fördermittel in Höhe von insgesamt 750 Millionen Euro bereitstellen, um deutsche Städte moderner und widerstandsfähiger zu gestalten. Doch wie in vielen Branchen könnte auch hier der Fachkräftemangel die hohen Ambitionen zum Scheitern bringen: Beispielsweise sind im Bauamt der Stadt Hannover aktuell fast 20 Prozent der Stellen unbesetzt. Auch auf den Baustellen spitzt sich der Mangel immer weiter zu. Bis 2035 könnten hier bis zu 250.000 Arbeitskräfte fehlen, wie eine Berechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft ergibt. Die verfügbaren Fachkräfte sind demnach schon jetzt völlig überlastet. Ihnen bleibt neben ihren täglichen Aufgaben kaum Zeit, sich Kenntnisse für den Umgang mit modernen Technologien anzueignen.
Dass der Lebenswert von Städten sinkt, weil Städteplanerinnen und -planer, Bauunternehmen und Behörden den aktuellen Herausforderungen aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels nicht gewachsen sind, ist nicht hinnehmbar. Stattdessen sollten alle wichtigen Informationsebenen so dargestellt werden, dass sie auch von technisch weniger versierten Planungsverantwortlichen nachvollzogen werden können.

Digitale Zwillinge verkürzen Entscheidungsprozesse

Genau hier setzen fotorealistische digitale Zwillinge an. Drohnen, Flugzeuge und Satelliten sammeln Bilddaten, die automatisiert zu wirklichkeitsgetreuen Abbildern von Baustellen, Wohnvierteln oder ganzen Städten berechnet werden. Zusammen mit weiteren Daten wie Katastervermessungen, Versorgungsnetzen, Gebäudeinformationsmodellen und Echtzeit-Sensordaten werden die Bilder zu vollwertigen und vor allem leicht verständlichen digitalen Abbildern der Stadt.
Digital Twins verknüpfen Bilder und Daten zu einem dichten Informationsnetz, das auch für Planer und Entscheider, die keine Geodaten-Fachleute sind, verständlich ist. Für diejenigen, die an der Gestaltung unserer Städte und Gemeinden beteiligt sind, bedeutet eine solche Technologie, dass sie weniger Transferleistung erbringen müssen. Durch die fotorealistische Darstellung können Daten aus allen Fachbereichen in eine räumliche Beziehung gebracht werden. Kombiniert mit weiteren Datenquellen lassen sich vergangene Szenarien analysieren und die potenziellen Auswirkungen auf die Zukunft bestimmen. So bleibt nichts im Verborgenen, was für die Städte der Zukunft eine Rolle spielt. Gleichzeitig haben die beteiligten Fachkräfte mehr Zeit, die tatsächliche Umsetzung voranzutreiben, anstatt sich an technischen Details aufzuhalten, für die ihnen mitunter Kenntnisse fehlen.
Fotorealistische digitale Zwillinge sind ein gutes Beispiel dafür, wie komplexe Prozesse technologiegestützt effizienter, verständlicher und zugänglicher gestaltet werden können. Insbesondere bei der Stadtplanung müssen unterschiedlichste Dimensionen und Daten miteinander in Beziehung gebracht werden. Manuell ist das nahezu unmöglich, selbst für erfahrenes Fachpersonal. Mithilfe digitaler Zwillinge können Projekte so modelliert und umgesetzt werden, dass alle Beteiligten über denselben Wissensstand verfügen – und deshalb an einem Strang ziehen können, wenn es um die Zukunft lebenswerter Städte geht.

Konrad Wenzel ist Director des Esri R&D Center, Christoph Zonsius ist Head of Sales State & Local Government bei Esri Deutschland.

https://www.esri.de

Stichwörter: Smart City, ESRI, Digitale Zwillinge, Digital Twin

Bildquelle v.o.n.u.: ESRI, ESRI

Druckversion    PDF     Link mailen


 Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich Smart City
Gelsenkirchen: KI-Anwendungszentrum gegründet
[3.5.2024] KI bietet auch im kommunalen Kontext zahlreiche produktive Anwendungsmöglichkeiten. Die Stadt Gelsenkirchen gründet jetzt im Rahmen ihrer Digitalisierungs- und Innovationsinitiative gemeinsam mit der Westfälischen Hochschule ein Anwendungszentrum für KI in Kommunen. mehr...
Die Stadt Gelsenkirchen und die Westfälische Hochschule bauen mit weiteren Partnern ein Anwendungszentrum für die KI-Nutzung in Kommunen auf.
Frankenberg (Eder): Use Cases für Smart City
[2.5.2024] Vor einem Jahr hatte die hessische Kleinstadt Frankenberg (Eder) eine Förderzusage des Landes für ihre Smart-City-Maßnahmen erhalten. Nun haben Kommune und IT-Dienstleister eine erste Zwischenbilanz gezogen. mehr...
Smart-City-Projekt in Frankenberg ist gut angelaufen.
Bürger-App: Kommunale Kommunikation Bericht
[26.4.2024] Bürger-Apps ermöglichen den unkomplizierten, direkten Austausch zwischen Kommunen und Einwohnern. Die Smart Village App ist ein offenes Baukastensystem speziell für Kommunen, das individuell angepasst werden kann. Rund 40 Kommunen nutzen es bereits - darunter auch die Stadt Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern. mehr...
Die Smart Village App ist modular und individualisierbar.
Dortmund/Schwerte: Bericht zum Stand der Smart City
[23.4.2024] Brücken, die über ihren Zustand informieren, Schüler, die Umweltdaten ihrer Schule auswerten oder eine App zum Mängelmelden – all das steht für das Modellprojekt Smart Cities DOS 2030. Rund ein Jahr nach Verabschiedung der Smart-City-Strategie hat die Stadt Dortmund einen Sachstandsbericht vorgelegt.
 mehr...
Schleswig-Holstein: Parkraumerfassung im Norden
[22.4.2024] Die „Smarte Grenzregion zwischen den Meeren“ ist eine Modellregion im Rahmen des Bundesförderprojekts Modellprojekte Smart Citys. Schwerpunkte des sehr umfangreichen Vorhabens: Messung von Besucherströmen und Sensorikmaßnahmen zur Parkraumerfassung. Die Umsetzung schreitet weiter voran. mehr...
Ist noch was frei? Darstellung des Parkplatzes am Strand Solitüde in der App „City Pilot“.
Suchen...

 Anzeige

 Anzeige



Aboverwaltung


Abbonement kuendigen

Abbonement kuendigen
Aktuelle Meldungen